OLG Nürnberg 30. Mai 2022
15 W 1386/22
BGB § 1822 Nr. 10; WEG § 10 Abs. 3

Überlassung von Wohnungseigentum an einen Minderjährigen; Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung; Haftung für rückständige Kosten und Lasten

BGB § 1822 Nr. 10; WEG § 10 Abs. 3
Überlassung von Wohnungseigentum an einen Minderjährigen; Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung; Haftung für rückständige Kosten und Lasten

Wird Wohnungseigentum an einen Minderjährigen überlassen und enthält die Gemeinschaftsordnung eine Regelung zur Haftung des (Einzel-)Rechtsnachfolgers für rückständige Kosten und Lasten, ist eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.5.2022 – 15 W 1386/22

Problem
Die Eigentümerin eines Wohnungseigentums wollte dieses ihrem minderjährigen Sohn schenkweise überlassen. Angesichts der allgemein anerkannten rechtlichen Nachteilhaftigkeit des dinglichen Vollzugs der Schenkung von Wohnungseigentum (vgl. nur BGH NJW 2010, 3643, 3644) wurde eine Ergänzungspflegerin bestellt, die die gesamte notarielle Urkunde genehmigte. Denn die rechtliche Nachteilhaftigkeit führt dazu, dass die schenkende Mutter gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist. Angesichts der teleologischen Reduktion des Merkmals „in Erfüllung einer Verbindlichkeit“ in § 181 BGB greift diese Ausnahme nicht, wenn und soweit die schuldrechtliche causa (Schenkung) durch den gesetzlichen Vertreter aufgrund der rechtlichen Vorteilhaftigkeit in Ausnahme von § 181 BGB begründet werden konnte (vgl. hierzu G. Müller, DNotZ 2013, 205, 209).

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass in der Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft, auf die gem. § 874 BGB in der Eintragungsbewilligung Bezug genommen wurde, eine Haftung der Rechtsnachfolger als Gesamtschuldner für „rückständige Lasten und Kosten (…) sowie für andere Forderungen aller Art der Gemeinschaft“ vereinbart war. Das Grundbuchamt lehnte den Vollzug der Auflassung ab und bemängelte das Fehlen einer familiengerichtlichen Genehmigung.

Entscheidung
Auf die durch den Notar für die Beteiligten eingelegte Beschwerde, der das Grundbuchamt nicht abhalf, hatte das OLG Nürnberg zu entscheiden. Das OLG Nürnberg wies die Beschwerde zurück. Das Grundbuchamt habe zu Recht eine familiengerichtliche Genehmigung gefordert. Bei der Eintragung einer Auflassung sei gem. § 20 GBO die Einigung nachzuweisen. Dies umfasse auch etwaige für deren Wirksamkeit erforderliche gerichtliche Genehmigungen. Im zu entscheidenden Fall habe die Erklärung der Auflassung – neben der Einschaltung eines Ergänzungspflegers – auch einer familiengerichtlichen Genehmigung bedurft. Dieses Erfordernis folge aus §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1822 Nr. 10 BGB. Die das Genehmigungserfordernis auslösende Übernahme einer fremden Verbindlichkeit liege auch vor, wenn der Minderjährige gemeinsam mit einem Dritten die Verbindlichkeit als Gesamtschuldner übernehme und der Dritte im Innenverhältnis die Schuld alleine zu tragen habe. Das Genehmigungserfordernis solle gerade der Gefahr vorbeugen, dass der Minderjährige eine fremde Verbindlichkeit im Hinblick auf die Regressmöglichkeit als vermeintlich risikolos übernehme.

Die Entscheidung steht damit in Einklang mit dem anerkannten Anwendungsbereich von § 1822 Nr. 10 BGB, der – wie vom OLG Nürnberg betont – bei Übernahme einer subsidiären Haftung durch den Minderjährigen greift. Liegt eine solche subsidiäre Haftung vor, ist gleichgültig, ob sich diese Haftung aufgrund Rechtsgeschäfts oder als gesetzliche Nebenfolge ergibt (vgl. G. Müller, DNotZ 2013, 205, 210 f.).

Die Entscheidung widerspricht nur scheinbar derjenigen des BGH vom 30.9.2010 (Az. V ZB 206/10 = NJW 2010, 3643). Darin hatte der BGH ausgeführt, der Erwerb einer Eigentumswohnung durch einen Minderjährigen sei zwar rechtlich nachteilhaft, unterliege jedoch keinem Genehmigungserfordernis nach § 1821 Abs. 1 BGB (Rn. 17). In dem durch den BGH entschiedenen Fall erwarben die Minderjährigen die ihnen geschenkten Eigentumswohnungen offenbar, ohne dass eine Haftung für Altverbindlichkeiten gegenüber der Gemeinschaft vorgesehen war.

Das Judikat des OLG Nürnberg liegt vielmehr auf der Linie der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. bereits BGH NJW 1973, 1276, 1278; zum Erwerb von Wohnungseigentum KG ZWE 2011, 41; OLG München DNotZ 2013, 205; OLG Köln ZWE 2015, 318) und der Literatur (vgl. etwa BeckOK-BGB/Bettin, Std. 1.5.2022, § 1822 Rn. 26; BeckOGK-BGB/Schöpflin, Std. 1.3.2022, § 1822 Rn. 93; Staudinger/Veit, BGB, 2020, § 1822 Rn. 183; MünchKommBGB/Kroll-Ludwigs, 8. Auflage 2020, § 1822 Rn. 66). Die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung erging zwar zu Fällen, in denen der Minderjährige Miteigentum an den Eigentumswohnungen erwerben sollte und ihn daher die gesetzliche Haftung aus § 16 Abs. 2 WEG als Gesamtschuldner traf. Gerade aufgrund dieser mit der Stellung als Gesamtschuldner verbundenen subsidiären Haftung für den Anteil des anderen Miteigentümers an den Kosten und Lasten wurden die Erwerbsvorgänge der Genehmigungspflicht des § 1822 Nr. 10 BGB unterworfen.

In dem der Entscheidung des OLG Nürnberg zugrunde liegenden Sachverhalt erwirbt der Minderjährige zwar Alleineigentum, es wird jedoch ebenfalls eine gesamtschuldnerische Haftung des Minderjährigen begründet. Die Regelung in der Gemeinschaftsordnung, wonach Rechtsnachfolger eines Eigentümers als Gesamtschuldner neben dem bisherigen Eigentümer u.a. für rückständige Lasten und Kosten haften (nunmehr § 7 Abs. 3 S. 2 WEG, wobei die fehlende Eintragung gem. § 48 Abs. 3 S. 3 WEG bis zum 31.12.2025 unschädlich ist), begründet eine subsidiäre Haftung des Minderjährigen. Ihm steht im Innenverhältnis ein Regressanspruch gegen den früheren Eigentümer gem. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB für die Zeiträume zu, in denen dieser Eigentümer war. Der Schutz vor der Übernahme solcher fremder Verbindlichkeiten, bei der auf den Regressanspruch vertraut zu werden droht, ist Zweck der Genehmigungspflicht des § 1822 Nr. 10 BGB.

Praxishinweis
Für die Rechtslage ab dem 1.1.2023 ist zu beachten, dass eine Genehmigungspflicht beim unentgeltlichen Erwerb von Wohnungseigentum durch Minderjährige ungeachtet der vorstehend skizzierten Fragen nach der subsidiären Haftung für fremde Verbindlichkeiten aus § 1850 Nr. 4 BGB k.F. (i. V. m. §§ 1799 Abs. 1, 1813 Abs. 1 BGB k. F.) folgen wird. Ein solcher unentgeltlicher Erwerb von Wohnungs- oder Teileigentum bedarf dann stets einer familiengerichtlichen Genehmigung.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Nürnberg

Erscheinungsdatum:

30.05.2022

Aktenzeichen:

15 W 1386/22

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Grundbuchrecht
In-sich-Geschäft
WEG
Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 94-95

Normen in Titel:

BGB § 1822 Nr. 10; WEG § 10 Abs. 3