Umdeutung eines nach DDR-Recht unwirksamen Erbvertrags in ein gemeinschaftliches Testament der Eheleute gem. § 389 Abs. 1 ZGB-DDR
letzte Aktualisierung: 2.11.2022
OLG Naumburg, Beschl. v. 3.2.2022 – 2 Wx 15/21
ZGB-DDR § 389 Abs. 1
Umdeutung eines nach DDR-Recht unwirksamen Erbvertrags in ein gemeinschaftliches
Testament der Eheleute gem. § 389 Abs. 1 ZGB-DDR
1. Eheleute mit ständigem Aufenthalt auf dem Gebiet der damaligen DDR konnten am 22. August
1990 (vor dem Wirksamwerden des Beitritts) nicht durch einen Erbvertrag letztwillig verfügen.
2. Ein nach dem Erbstatut der damaligen DDR unwirksamer Erbvertrag kann in ein
gemeinschaftliches Testament der Eheleute i. S. v. § 389 Abs. 1 ZGB-DDR umgedeutet werden.
Gründe
A.
Der Erblasser war zum Zeitpunkt seines Ablebens mit der Beteiligten zu 1) verheiratet und
hatte zwei Söhne, die Beteiligten zu 2) und zu 3). Er hinterließ kein Testament.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2) erteilte das Nachlassgericht am 06.05.1994 einen
gemeinschaftlichen Erbschein, welcher die Beteiligte zu 1) als Erbin zu einem ½ Anteil und
die Beteiligten zu 2) und zu 3) jeweils als Erben mit einem ¼ Anteil auswies. Dem
Erbschein lag die Annahme einer gesetzlichen Erbfolge zugrunde.
Am 08.12.2020 hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Halle (Saale) den in besonderer
amtlicher Verwahrung befindlichen Erbvertrag zu UR Nr. 132/90 des Notars E. B. vom
22.08.1990 als Verfügung von Todes wegen eröffnet. Der beurkundende Notar war Notar
im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Amtssitz in Emmerich und nahm die
Beurkundung in Halle (Saale) vor. In dem zwischen dem Erblasser und den Beteiligten zu 1)
bis zu 3) geschlossenen Erbvertrag setzten sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben
des Erstversterbenden ein (Ziffer I). Der Letztlebende berief „mit erbvertraglich bindender
Wirkung und ohne Anfechtungs- und Widerrufsrecht auch im Falle seiner
Wiederverheiratung oder des Hinzutretens sonstiger Pflichtteilsberechtigter“ die Beteiligten
zu 2) und zu 3) als Schlusserben zu gleichen Teilen, ersatzweise jeweils deren Abkömmlinge
(Ziffer II). Die Beteiligten zu 2) und zu 3) verzichteten jeweils auf ihr Pflichtteilsrecht nach
dem Tod des Erstversterbenden (Ziffer IV). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den
Inhalt der beigezogenen Akte 04 IV 205/20 - AG Merseburg - Bezug genommen.
Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 01.02.2021 den Erbschein vom
06.05.1994 eingezogen und der Beteiligten zu 1) die Kosten der Einziehung auferlegt.
Gegen diese, ihnen am 12.02.2021 zugestellte Entscheidung wenden sich die Beteiligten mit
ihrer am 17.02.2021 vorab per Fax beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde. Sie
meinen, dass der Erbvertrag unwirksam sei. Der beurkundende Notar sei nicht im
Amtsbezirk des damaligen Bezirksgerichts Halle zugelassen gewesen. Zudem habe das bis
zum 02.10.1990 geltende DDR-Recht einen Erbvertrag nicht gekannt.
Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 28.02.2021 dem Rechtsmittel nicht
abgeholfen, ohne auf das Beschwerdevorbringen einzugehen, und die Sache dem
Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
B.
I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis zu 3) ist zulässig, insbesondere ist sie nach § 58
Abs. 1 FamFG statthaft und die nach § 61 Abs. 1 FamFG notwendige Mindestbeschwer ist
überschritten. Die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG ist gewahrt worden.
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Allerdings leidet die angefochtene Entscheidung an einem schwerwiegenden
Verfahrensfehler; sie ist unter Verletzung des Anspruchs sämtlicher Beteiligter auf
rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ergangen. Vor einer Entscheidung über die
Einziehung des gemeinschaftlichen Erbscheins wäre jedenfalls hier, wo keine
Eilbedürftigkeit vorlag, eine vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben gewesen.
Dann hätten die von den Beteiligten mit der Beschwerde vorgebrachten Einwendungen
bereits vor dem Erlass des Beschlusses geprüft werden können und müssen. Nach dem
Erlass der Entscheidung hat das Nachlassgericht den schwerwiegenden Verfahrensfehler
fortgesetzt, indem es seine Nichtabhilfe mit einem Verweis auf die Gründe der
angefochtenen Entscheidung gerechtfertigt hat. Dieser Verweis war vollkommen inhaltsleer,
weil sich das Nachlassgericht darin nicht mit den noch nicht erhobenen Einwendungen
auseinandergesetzt hatte.
2. Die Einziehung des gemeinschaftlichen Erbscheins vom 06.05.1994 war jedoch materiellrechtlich
begründet.
Nach § 2361 Satz 1 BGB ist ein bereits erteilter Erbschein einzuziehen, wenn das darin
verbriefte Zeugnis über das Erbrecht inhaltlich unrichtig ist. Diese Voraussetzungen liegen
hier vor. Die im Erbschein ausgewiesene Erbfolge entsprach nicht dem zur Zeit des
Erbfalls geltenden Erbrecht.
a) Die Erbfolge nach dem Erblasser bestimmt sich nach der auslegungsbedürftigen
letztwilligen Verfügung vom 22.08.1990.
aa) Nach Art. 235 § 2 Satz 1 EGBGB bleibt für die Errichtung einer Verfügung von Todes
wegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts, wie hier, das bisherige Recht der DDR
maßgeblich, auch wenn der Erblasser nach dem Wirksamwerden des Beitritts verstirbt.
Die Frage, welches Erbrecht nach dem Wirksamwerden des Beitritts anzuwenden ist, wurde
nach den Regeln des sog. interlokalen Privatrechts beurteilt. Hatte der Erblasser, wie hier,
seinen ständigen Aufenthalt in der damaligen DDR, war das für ihn maßgebliche Erbstatut
das Recht der DDR (vgl. BG Erfurt, Beschluss v. 27.05.1993, W 15/93,
OLG Naumburg, Beschluss v. 27.12.2000, 10 Wx 31/99 unveröffentlicht). Nach § 26
RechtsanwendungsG-DDR (GBl. DDR I 1975, 748) bestimmten sich die Fähigkeit zur
Errichtung oder Aufhebung sowie die zulässigen Arten testamentarischer Verfügungen,
deren Anfechtung und die Rechtsfolgen von Erklärungsmängeln bei ihrer Errichtung nach
dem Recht desjenigen Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des
Testaments seinen Wohnsitz hatte. Für den hiesigen Erblasser war das S. .
bb) Allerdings konnte der Erblasser am 22.08.1990 nicht durch einen Erbvertrag letztwillig
verfügen.
In der DDR war am 01.01.1976 das Zivilgesetzbuch der DDR (ZGB-DDR) in Kraft
getreten; darin war das Rechtsinstitut des Erbvertrages nicht mehr geregelt. Der Erbvertrag
wurde nur anerkannt, wenn er entweder vor dem Inkrafttreten des ZGB-DDR
abgeschlossen war (vgl. § 8 Abs. 2 EGZGB-DDR, auch Anm. 2.2 zu § 8 EGZGB-DDR in
dem Kommentar des Ministeriums der Justiz: „Die Wirksamkeit in einem Erbvertrag
enthaltener letztwilliger Verfügungen ist nach den gleichen Kriterien zu beurteilen wie die
Wirksamkeit eines vor Inkrafttreten des ZGB errichteten Testaments.“) oder wenn das
Erbstatut des Erblassers nicht das Recht der DDR war. Beide Voraussetzungen lagen hier
jeweils nicht vor.
cc) Der unwirksame Erbvertrag vom 22.08.1990 ist jedoch in ein gemeinschaftliches
Testament der Eheleute umzudeuten.
(1) Auch nach § 372 ZGB-DDR sind letztwillige Verfügungen so auszulegen, dass dem
wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Erblassers Geltung verschafft wird. Diese
Vorschrift entspricht dem § 2084 BGB, so dass die hierzu ergangene Rechtsprechung
herangezogen werden kann. Die Grenzen der Auslegung wurden durch § 373 ZGB-DDR
gezogen, wonach letztwillige Verfügungen nur dann nichtig waren, wenn sie gegen ein in
den Rechtsvorschriften enthaltenes Verbot verstießen oder moralwidrig waren.
Insbesondere ein gesetzliches Verbot gab es nicht. Das ZGB-DDR sah zwar den Abschluss
von Erbverträgen nicht vor, verbot solche Erklärungen jedoch nicht ausdrücklich. Für die
Erklärung des letzten Willens wurde die Form des Erbvertrags lediglich als atypisch und
nicht praktikabel angesehen, kam in der Rechtspraxis der DDR nur noch selten vor (vgl.
Janke
des Zivilrechts zum Opfer (vgl. Hildebrandt/ Janke
wirksam errichtete Erbverträge wurden jedoch auch nach dem Inkrafttreten des ZGB-DDR
nach § 8 Abs. 2 EGZGB-DDR wie Testamente behandelt (vgl. Anm. 2.2 zu § 8 EGZGBDDR
in dem Kommentar des Ministeriums der Justiz: „Die Wirksamkeit in einem
Erbvertrag enthaltener letztwilliger Verfügungen ist nach den gleichen Kriterien zu
beurteilen wie die Wirksamkeit eines vor Inkrafttreten des ZGB errichteten Testaments.
Eventuell festgelegte Beschränkungen der Verfügungsbefugnis des Erben entfallen, wenn
der Erbfall nach dem 1.1.1976 eintritt, vgl. FuA
212; Thüringer OLG, Beschluss v. 21.10.1993, 6 W 14/93,
15 m.w.N.).
(2) In der erbrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein unwirksamer Erbvertrag in
ein Testament umgedeutet werden kann (vgl. nur Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 81.
Aufl., § 140 Rn. 10 m.w.N.). Das ist auch für einen im Geltungsbereich des ZGB-DDR
geschlossenen und deswegen unwirksamen Erbvertrag anerkannt (vgl. Thüringer OLG,
Beschluss v. 21.10.1993, 6 W 14/93, a.a.O., in juris Rz. 13 f., zusätzlich unter Berufung auf
die allgemeinen Grundsätze des internationalen Privatrechts, welche im Bereich des
interlokalen Privatrechts anwendbar sind).
(3) Besteht ein mehrseitiger unwirksamer DDR-Erbvertrag, wie hier, einerseits aus
wechselbezüglichen letztwilligen Verfügungen der Ehegatten, welche ohne weiteres in ein
gemeinschaftliches Testament i.S.v. § 389 Abs. 1 ZGB-DDR umgedeutet werden können
(hier in Ziffern I und II), und weiteren vertraglichen Regelungen, hier insbesondere dem
Verzicht der Nachkommen der Eheleute auf die Geltendmachung ihres jeweiligen
Pflichtteilsanspruchs beim ersten Erbfall (in Ziffer IV), so ist weiter zu prüfen, ob es dem
Willen der Testierenden entspricht, den letztwilligen Verfügungen auch getrennt von den
weiteren Bestimmungen des Erbvertrags Geltung zu verschaffen. Das ist im vorliegenden
Fall anzunehmen, wie sich insbesondere aus Ziffer V ergibt („Die vorstehenden
Verfügungen sollen, soweit gesetzlich zulässig und nicht ausgenommen, vertragsmäßige
sein, die wir wechselseitig annehmen.“).
(4) Für das vorliegende Verfahren bedarf es keiner Entscheidung darüber, inwieweit die in
Ziffern II und III getroffenen Beschränkungen des Verfügungsrechts des Längerlebenden
mit dem Erbstatut der DDR, insbesondere mit § 390 Abs. 2 Satz 1 ZGB-DDR („Der
überlebende Ehegatte kann über den Nachlass frei verfügen.“, zur Verfügungsfreiheit des
überlebenden Ehegatten aus einem gemeinschaftlichen Testament nach DDR-Recht auch
BGH, Urteil v. 18.01.1995, IV ZR 88/94,
die Erbfolge nach dem Erstversterbenden geht. Gleiches gilt für den in Ziffer IV
enthaltenen Verzicht auf Pflichtteilsansprüche durch die Beteiligten zu 2) und zu 3).
b) Deutet man die in den Ziffern I und II des mehrseitigen Erbvertrages vom 22.08.1990
enthaltenen Bestimmungen in ein gemeinschaftliches Testament der Ehegatten um, so
ergibt sich eindeutig, dass der Erstversterbende von dem Längerlebenden allein beerbt
werden sollte.
3. Der Umdeutung des Erbvertrages vom 22.08.1990 in ein gemeinschaftliches Testament
stehen die näheren Umstände seiner Beurkundung nicht entgegen.
Nach Art. 231 § 7 Abs. 1 EGBGB ist eine vor dem Wirksamwerden des Beitritts erfolgte
notarielle Beurkundung grundsätzlich und so auch hier nicht unwirksam, wenn die
Beurkundung von einem Notar vorgenommen wurde, der nicht im Beitrittsgebiet berufen
oder bestellt war, sofern er im Geltungsbereich des Grundgesetzes bestellt war. Das trifft
auf den hier tätig gewordenen Urkundsnotar zu (vgl. auch OLG Naumburg, Beschluss v.
21.08.2001, 10 Wx 9/00, unveröffentlicht).
C.
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG und § 21 Abs. 1
GNotKG.
II. Die Festsetzung des Kostenwerts des Beschwerdeverfahrens war danach entbehrlich.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Naumburg
Erscheinungsdatum:03.02.2022
Aktenzeichen:2 Wx 15/21
Rechtsgebiete:
Erbrechtliches Sonderrecht der neuen Bundesländer
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
ZGB-DDR § 389 Abs. 1