Voraussetzungen der Weisungsunabhängigkeit eines Gesellschaftergeschäftsführers
letzte Aktualisierung: 16.12.2021
LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.5.2020 – L 9 BA 104/19
SGB IV §§ 28p, 7; BGB §§ 709, 723
Voraussetzungen der Weisungsunabhängigkeit eines Gesellschaftergeschäftsführers
Eine Sperrminorität muss im Gesellschaftsvertrag selbst verankert sein, um
sozialversicherungsrechtlich geeignet zu sein, eine Weisungsabhängigkeit auszuschließen. Ein
schuldrechtlicher Stimmbindungsvertrag kann einer gesellschaftsvertraglich verankerten
Sperrminorität nicht gleichgestellt werden.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte für die Beigeladenen
zu 3) - 5) für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2015 Beiträge zu allen
Zweigen der Sozialversicherung sowie die Insolvenzgeldumlage in einer Gesamthöhe von
124.306,21 € nachgefordert hat.
Die klägerische GmbH betreibt im Ortsteil P von B S eine Kfz-Werkstatt, die mit
Kraftfahrzeugersatzteilen handelt sowie Kraftfahrzeuge vermietet. Die GmbH wurde am
22. Dezember 2008 gegründet und am 16. März 2009 in das Handelsregister eingetragen.
Die Beigeladenen zu 3) - 5) sind Gesellschafter und in der Gründungsurkunde jeweils zu
Geschäftsführern mit Einzelvertretungsmacht bestellt. Sie sind von den Beschränkungen
des
Stammkapital i.H.v. 25.000 € Kapitalanteile in Höhe von jeweils 8.333 € (Beigeladener zu 3)
und 5) bzw. im Fall des Beigeladenen zu 4) in Höhe von 8.334 €. Gemäß dem
Gesellschaftsvertrag kamen in dem hier maßgeblichen Zeitraum die Beschlüsse der
Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zustande,
sofern nicht gesetzlich oder im Gesellschaftsvertrag eine höhere Mehrheit vorgeschrieben
war. Je 1 € des Stammkapitals gewährte eine Stimme, bei Stimmengleichheit (Pattsituation)
galt der Beschluss als nicht angenommen (§ 7 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags). Die
Gesellschafterversammlung war beschlussfähig, wenn mehr als 50 % des Stammkapitals
vertreten waren. Lag danach eine Beschlussfähigkeit nicht vor, war unverzüglich eine neue
Gesellschafterversammlung mit der gleichen Tagesordnung einzuberufen, diese war dann
ohne Rücksicht auf die Höhe des vertretenen Stammkapitals beschlussfähig (§ 7 Abs. 7 Satz
1 und 2 des Gesellschaftsvertrags). Gemäß § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags ergeben sich
die Rechte und Pflichten der Geschäftsführer aus dem Gesetz, dem Anstellungsvertrag und
den von den Gesellschaftern gegebenen Weisungen. Gemäß Gesellschafterbeschluss vom
18. Dezember 2009 sollte eine Abberufung eines Gesellschafters nach dem 31. Dezember
2009 nur aus wichtigem Grund zulässig sein. Am 14. März 2011 fasste die
Gesellschafterversammlung einen formlosen Beschluss, wonach die Gesellschafter
vereinbarten, dass sie alle Angelegenheiten und Entscheidung der Geschäftsführung nur
einstimmig und im gegenseitigen Einvernehmen beschlössen. Sei auch nur einer mit einer
Entscheidung/Maßnahme nicht einverstanden, seien die übrigen Gesellschafter verpflichtet,
gegen den Beschluss zu stimmen. Der Beschluss könne nur bei Einstimmigkeit umgesetzt
werden. Am 28. September 2017 änderten die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag und
vereinbarten in § 7 desselben, dass Beschlüsse im Zusammenhang mit der
Geschäftsführung einstimmig zu fassen seien. Die Änderung wurde am 9. Oktober 2017 in
das Handelsregister eingetragen.
Der Beigeladene zu 3) ist Betriebsleiter, der Beigeladene zu 4) ist Werkstattmeister und der
Beigeladene zu 5) ist als Lackierer in dem Unternehmen tätig. Die Klägerin schloss mit allen
drei Geschäftsführern einen gleichlautenden Formular- „Arbeitsvertrag für gewerbliche
Arbeitnehmer“ mit Wirkung vom 1. Januar 2009. Alle Drei wurden darin als
Geschäftsführer angestellt, jeweils noch mit dem Zusatz ihres Tätigkeitsbereiches
(Lackierer, Betriebsleiter, Meister). Die Arbeitsverträge wurden unbefristet geschlossen,
vereinbart wurde jeweils ein Monatslohn i.H.v. 1.350 €, zahlbar am Monatsende. Als
Arbeitszeit wurden 40 Stunden wöchentlich vereinbart. Die „Arbeitnehmer“ erhielten pro
Kalenderjahr insgesamt 24 Arbeitstage Urlaub. Die Gesellschaft verpflichtete sich, einen
Arbeitgeberzuschuss zu den Krankenkassenkosten der Geschäftsführer gemäß den
gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen (Ziff. 10. „Sonstiges“ der Arbeitsverträge). Der
Beigeladene zu 3) erhielt außerdem einen firmeneigenen PKW auch zur Privatnutzung
Die Klägerin verpflichtete sich mit Gesellschafterbeschluss vom 30. November 2011 in
Ergänzung des Dienstvertrages, für die Beigeladenen zu 3) bis 5) als Bezugsberechtigte eine
Rentenversicherung bei der E Lebensversicherung AG mit einem Jahresbeitrag von 4.440 €
abzuschließen und während der Dauer des Dienstverhältnisses der Geschäftsführer die
Versicherungsbeiträge zu zahlen. Für die monatliche Vergütung der Geschäftsführer
entrichtete die Klägerin Lohnsteuer.
Die Beigeladenen zu 3) - 5) nahmen zur Finanzierung der Betriebsstätte der Klägerin bei der
V- und R im Jahr 2003 ein Darlehen i.H.v. 125.000 € auf. Zur Sicherheit wurde eine
erstrangige Grundschuld auf einem Grundstück eingetragen. Darüber hinaus traten die drei
beigeladenen Geschäftsführer ihre Rechte und Ansprüche aus Kapital-oder
Risikolebensversicherungen in Höhe von jeweils 100.000 € an die Bank ab.
Den Beigeladenen zu 4) hatte die Landesversicherungsanstalt Brandenburg auf seinen
Antrag hin mit Bescheid vom 29. März 1999 ab dem 1. September 1997 von der
Versicherungspflicht nach § 2 Nr. 8 SGB VI befreit, da er mindestens 18 Jahre lang
Pflichtbeiträge gezahlt habe. Die Befreiung von der Versicherungspflicht sei auf die
selbstständige Tätigkeit beschränkt.
Anlässlich einer Betriebsprüfung für den Zeitraum 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2011
ergaben sich aus der stichprobenweise durchgeführten Prüfung keine Feststellungen im
Zusammenhang mit der Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, insbesondere
keine Beitragsnachforderung (Prüfmitteilung der Beklagten vom 26. April 2012). Auch eine
weitere Betriebsprüfung, durchgeführt in der Zeit vom 6. September 2016 bis zum 28.
Dezember 2016 für den Prüfzeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2015, führte zu
keinen Feststellungen hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Die
Prüfmitteilung vom 29. Dezember 2016 enthielt allerdings den Hinweis, hinsichtlich der
versicherungsrechtlichen Beurteilung der geschäftsführenden Gesellschafter erhalte die
Klägerin gesondert Nachricht.
Nach Anhörung teilte die Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2017 der Klägerin mit,
dass aufgrund der Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum 1. Januar 2012 bis zum 31.
Dezember 2015 die vorgenommene sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ergeben
habe, dass die drei Geschäftsführer ihre Tätigkeit bei der Klägerin (seit dem 1. Januar 2009)
im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hätten. Es bestehe
deshalb im Prüfzeitraum Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung. Die
Nachforderung betrage insgesamt 124.306,21 €.
Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.
Januar 2018 zurück. Mit der am 1. Februar 2018 erhobenen Klage zum Sozialgericht
Frankfurt/Oder hat die Beklagte ihr Begehren weiterverfolgt. Die GmbH sei aus einer
zuvor zwischen den Gesellschaftern bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts
hervorgegangen. Die Gründung und die abgeschlossenen Arbeitsverträge seien auf Anraten
des damaligen Steuerberaters und zur Minimierung von Haftungsrisiken 2009 erfolgt. Es
herrsche eine gelebte Gleichberechtigung zwischen den drei Gesellschafter-
Geschäftsführern, die in dem Gesellschafterbeschluss vom 14. März 2011 zum Ausdruck
komme. Im Ergebnis dieses Beschlusses könne jeder Gesellschafter-Geschäftsführer
jegliche Entscheidung und/oder Maßnahme mit Bezug auf die Geschäftsführung blockieren
bzw. verhindern. Das gelte vor allem auch für nicht genehme bzw. nachteilige Beschlüsse
im Hinblick auf das jeweilige Dienstverhältnis. Das Einstimmigkeitserfordernis werde unter
den Dreien seit dem Jahre 1997 und damit seit über 20 Jahren immer gewahrt. Sie zahlten
sich auf Anraten ihres damaligen Steuerberaters monatlich einen Betrag von 1.600 € brutto
aus, allerdings erfolge dies ausschließlich aus steuerlichen Gründen, um sich nicht dem
Vorwurf einer verdeckten Gewinnausschüttung auszusetzen. Das unternehmerische Risiko
bestehe gleichwohl in Gestalt des Lohnausfallrisikos. In Zeiten fehlender Liquidität der
Gesellschaft sei auch vorübergehend auf die Lohnzahlung ganz verzichtet worden.
Mit Urteil vom 23. Oktober 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die
Beigeladenen zu 3) - 5) seien im Streitzeitraum als Geschäftsführer bei der Klägerin
abhängig beschäftigt und damit versicherungspflichtig in allen Zweigen der
Sozialversicherung gewesen. Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliege, richte sich bei
Geschäftsführern einer GmbH in erster Linie danach, ob der jeweilige Geschäftsführer
nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht
ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen könne, die sein
Arbeitsverhältnis beträfen. Entscheidend sei hierfür eine Beteiligung am
Gesellschaftskapital. Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssten deshalb
über ein Mindestkapital von 50 vom Hundert oder eine „echte“, die gesamte
Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügen. Außerhalb des
Gesellschaftsvertrags zustande gekommene, sich auf die Stimmverteilung auswirkende
Abreden, seien demgegenüber für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ohne
Bedeutung. Gemessen daran seien die Beigeladenen zu 3) - 5) im streitgegenständlichen
Zeitraum abhängig beschäftigt gewesen. Sie verfügten seit Abschluss des
Gesellschaftsvertrags lediglich jeweils über 33 vom Hundert der Gesellschaftsanteile,
während der Gesellschaftsvertrag für eine Beschlussfassung grundsätzlich die einfache
Mehrheit vorsehe. Eine Sperrminorität sei keinem der Gesellschafter eingeräumt worden.
Aus der Übernahme von Bürgschaften für die Klägerin ergebe sich im Übrigen keine unter
dem Gesichtspunkt tatsächlicher wirtschaftlicher Einflussmöglichkeiten bestehende
Vergleichbarkeit mit einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer (BSG, Urteil
vom 19. September 2019 - B 12 R 25/18 R Rn. 16). Dies werde bestätigt durch die die
Geschäftsführertätigkeit bestimmende Ausgestaltung in den Geschäftsführerverträgen. Die
im Wesentlichen gleichlautenden Formularverträge enthielten typische Regelungen eines
Arbeitsvertrags. So hätten die Geschäftsführer unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des
Unternehmens u.a. einen Anspruch auf eine monatlich feste Vergütung, auf Zahlung eines
Zuschusses zu den Kosten der Krankenversicherung sowie einen Urlaubsanspruch. Daran
ändere allein eine jeweils weitreichende Entscheidungsbefugnis nichts. Dies gelte auch in
Anbetracht des am 14. März 2011 gefassten Gesellschafterbeschlusses, der das Prinzip der
Einstimmigkeit aller Entscheidungen festlege. Die für die Annahme einer selbstständigen
Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage
versetze, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme
Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, müsse
gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (der Satzung)
bestehende wirtschaftliche Verflechtungen, Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte
zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen Gesellschaftern oder der
GmbH seien nicht zu berücksichtigen. Diese könnten die sich aus dem Gesellschaftsvertrag
ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung
verschieben. Unabhängig von ihrer Kündbarkeit genüge eine das Stimmverhalten regelnde
Vereinbarung nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und
beitragsrechtlicher Tatbestände. Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der
Versicherungsträger sei die Frage der Versicherungspflicht wegen Selbstständigkeit oder
abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären, weil es darauf nicht nur
für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der
Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche des jeweiligen Betroffenen ankomme.
Das Prinzip der Einstimmigkeit im Fall der Klägerin sei lediglich durch einen
Gesellschafterbeschluss vereinbart und nicht in der Satzung verankert worden. Daher sei die
entsprechende Stimmbindungsabrede sozialversicherungsrechtlich unbeachtlich. Soweit die
Klägerin vortrage, die insoweit gefestigte Rechtsprechung des BSG lasse sich auf eine
GmbH mit drei gleichberechtigten Gesellschaftern nicht übertragen, gehe sie fehl.
Entscheidend sei nicht die Zahl der an der Stimmbindungsabrede beteiligten Gesellschafter,
sondern deren formwirksame Festschreibung im Gesellschaftsvertrag. Die Klägerin könne
sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die vorangegangenen Betriebsprüfungen keine
Beanstandungen ergeben hätten. Diesen komme für die Vergangenheit schon deshalb keine
Entlastungswirkung zu, weil sie nicht umfassend oder erschöpfend hätten sein müssen und
sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränkten. Eine materielle
Bindungswirkung aufgrund der Betriebsprüfung könne sich nur insoweit ergeben, als
Versicherungs- und Beitragspflicht sowie Beitragshöhe im Rahmen der Prüfung
personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt
worden seien. Einer pauschal gehaltenen Prüfmitteilung wie hier derjenigen vom 6. April
2012, nach welcher die durchgeführte Betriebsprüfung ohne Beanstandung geblieben sei,
komme nach dem objektiven Empfängerhorizont gerade kein Regelungsgehalt zu. Ob
solche nicht konkreten Prüfmitteilungen hinter den Anforderungen des § 28p Abs. 1 Satz 5
SGB IV i.V.m. den entsprechenden Bestimmungen der Beitragsverfahrensordnung
zurückblieben, sei für die Frage des Vertrauensschutzes ohne Bedeutung (BSG, Urteil vom
19. September 2019 - B 12 R 25/18 R Rn.30 ff.). Fehler hinsichtlich der Berechnung der
Beiträge und Umlagen seien nicht vorgetragen und auch für die Kammer nicht erkennbar.
Die Klägerin hat gegen das ihren Bevollmächtigten am 29. November 2019 zugestellte
Urteil am 20. Dezember 2019 Berufung eingelegt. Der am 14. März 2011 gefasste
Gesellschafterbeschluss stehe der Annahme einer abhängigen Beschäftigung entgegen. Die
sich aus ihm ergebende Sperrminorität hätte nicht gegen den Willen eines einzelnen
Gesellschafter-Geschäftsführers beseitigt werden können. Stimmbindungsvereinbarungen
aller Gesellschafter in Form eines Beschlusses entsprächen hinsichtlich ihrer
Rechtswirkungen einer Regelung im Gesellschaftsvertrag und nicht ausschließlich einer
schuldrechtlichen Vereinbarung. Jeder zustande gekommene Beschluss, der gegen sie
verstoße, könne angefochten und damit für unwirksam erklärt werden. Dies gelte auch für
eine schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarung. Außerdem wirke ein solcher Beschluss
gesellschaftsintern. Er binde die Gesellschafter und die Gesellschaftsorgane und er könne
nicht durch einen Gesellschafter außerordentlich gekündigt werden. Ebenso wie eine
Regelung im Gesellschaftervertrag könne er also nicht ohne weiteres aufgehoben werden.
Es liege ein Rechtsgeschäft sui generis mit einer der Satzungsregelung äquivalenten
Rechtswirkung vor. Die insoweit bestehende herrschende zivilrechtliche Rechtsprechung
müsse im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch von der aktuellen
sozialrechtlichen Rechtsprechung zugrunde gelegt werden. Dies habe zur Folge, dass alle
drei Gesellschafter-Geschäftsführer dauerhaft alle Beschlüsse, die insbesondere mit ihrer
Geschäftsführertätigkeit in Zusammenhang stünden, hätten verhindern können, indem sie
diesen nicht zustimmten. Nicht entscheidend sei, ob diese Sperrminorität öffentlich
einsehbar sei und eine der Satzung vergleichbare Publizität aufweise.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgericht Frankfurt/Oder vom 23. Oktober 2019 zu ändern und den
Bescheid der Beklagten vom 14. September 2017 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2018 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die Beigeladenen zu 3) - 5) nicht der Versicherungspflicht in der
Kranken-, Pflege-, Renten-und Arbeitslosenversicherung unterliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das BSG habe in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ausgeführt, dass außerhalb der
Satzung getroffene Stimmrechtsvereinbarungen sozialversicherungsrechtlich unbeachtlich
seien. Der Gesellschafterbeschluss vom 14. März 2011 könne jederzeit durch einen neuen
Gesellschafterbeschluss mit der satzungsmäßigen einfachen Mehrheit aufgehoben werden.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat mit Hinweisschreiben vom 26. März 2020 und vom 30. April 2020 den
Beteiligten mitgeteilt, dass er beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung
durch einstimmigen Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
A. Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch
Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet sowie eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten vorher angehört worden sind.
B. Die nach
Frankfurt/Oder vom 23. Oktober 2019 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der
Beklagten vom 14. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.
Januar 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; die Beklagte hat
darin zu Recht Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung sowie Beiträge zur
Insolvenzgeldumlage für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 nach §
28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) nachgefordert. Die Klägerin
schuldet diese Beiträge als Arbeitgeberin der Beigeladenen zu 3) bis 5). Diese sind in ihrer
Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin Beschäftigte i.S. des § 7 SGB IV in der streitigen
Zeit. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Gründe der
erstinstanzlichen Entscheidung (
detailliert unter Berücksichtigung der durch die höchstrichterliche Rechtsprechung
entwickelten Grundsätze ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB IV für
jeden der Geschäftsführer gegeben sind und die Beitragspflicht entstanden ist. Dem hat die
Begründung der Berufung nichts im Ergebnis Überzeugendes entgegen gesetzt.
Es bleibt - auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens - zu ergänzen:
Eine für die Selbständigkeit jedes der Geschäftsführer notwendige gesellschaftsvertragliche
Sperrminorität, die diese berechtigt, zumindest unliebsame Weisungen für ihre
Geschäftsführertätigkeit zu verhindern, wurde nicht durch den Gesellschafterbeschluss vom
14. März 2011 begründet. Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BSG, auf
welche das Sozialgericht zutreffend Bezug genommen hat, muss die Sperrminorität, damit
sie sozialversicherungsrechtlich geeignet ist, eine Weisungsabhängigkeit auszuschließen, im
Gesellschaftsvertrag selbst verankert sein (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17
R Rn. 21/22 - juris).
Der Gesellschafterbeschluss vom 14. März 2011 ist weder nach seiner Zielrichtung noch
seiner Form nach ein solcher, der den Gesellschaftsvertrag, die Satzung der Klägerin,
ändern sollte oder konnte. Gemäß § 53 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit
beschränkter Haftung (GmbHG) kann eine Änderung des Gesellschaftsvertrags nur durch
einen notariell beurkundeten Beschluss der Gesellschafter erfolgen und bedarf zu seiner
Wirksamkeit der Eintragung in das Handelsregister (§ 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 GmbHG, zu
den Einzelheiten der Beurkundung, vgl. Nordholtz/Hupka,
hier nicht der Fall und auch nicht gewollt.
Der Gesellschafterbeschluss kann auch nicht einer gesellschaftsvertraglich verankerten
Sperrminorität gleichgestellt werden. Der Beschluss war ein schuldrechtlicher
Stimmbindungsvertrag und begründete eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705
ff BGB), weil mit der koordinierten Ausübung der Stimmrechte ein gemeinsamer Zweck
verfolgt wird (BSG, Urteil vom 11. November 2015 - B 12 KR 13/14 R -,
69, Rn. 31). Sind Stimmbindungsverträge auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, sind sie
indessen gesellschaftsrechtlich jederzeit ordentlich kündbar (
BSG, aaO, Rn. 31).
Selbst wenn eine BGB-Innengesellschaft bis zu ihrer Kündigung alle Gesellschafter zur
einstimmigen Stimmabgabe verpflichtet, führt dies sozialversicherungsrechtlich nicht dazu,
die Gesellschafter-Geschäftsführer bereits deshalb als nicht weisungsgebunden zu
betrachten. Ob Gestaltungen der Gesellschaftsrechts- bzw. Gesellschaftsvertragsrechtslage
(überhaupt) für die Statusentscheidung bedeutsam sind, und - falls ja - mit welchem
Indizcharakter und welcher Gewichtung im Rahmen der insoweit zu treffenden Abwägung
aller Umstände, beurteilt sich ohne strikte "Parallelwertung" allein im vorliegend thematisch
einschlägigen - sozialversicherungsrechtlichen - Kontext des § 7 Abs. 1 SGB IV (BSG,
Urteil vom 11. November 2015 - B 12 KR 10/14, Rn. 31). Eine unterschiedliche Bewertung
von Stimmrechtsvereinbarungen im Gesellschaftsrecht einerseits und im
Sozialversicherungsrecht andererseits ist insoweit durch die verschiedenen Sachstrukturen
der jeweiligen Rechtsbereiche gerechtfertigt (BSG, Urteil vom 11. November 2015 - B 12
KR 13/14 R -,
Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin zwar unter Berufung auf den Beschluss vom
14. März 2011 sein Veto-Recht verteidigen können, indem er einen ihn überstimmenden
Gesellschafterbeschluss hätte anfechten können (so BGH, Urteil vom 20. Januar 1983 - II
ZR 243/81 -, Rn. 11, juris für den Fall einer schuldrechtlichen Stimmbindungsabrede
zwischen allen Gesellschaftern). Allerdings hätten die anderen Gesellschafter dem
zuvorkommen können, indem sie ihrerseits anlassbezogen durch Kündigung die BGBInnengesellschaft
aus wichtigem Grund zum Erlöschen hätten bringen können. Der BGH
hat mit der Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen, die allein gegen solche
Stimmbindungsabreden verstoßen, die zwischen allen Gesellschaftern getroffen wurden,
diese Abreden gerade nicht in den Rang von gesellschaftsvertraglichen Regelungen mit allen
daran geknüpften Rechtsfolgen erhoben. Er hat lediglich bestimmt, dass in diesem Fall der
Streit um die „richtige“ Stimmabgabe und die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die
schuldrechtliche Bindung mit der Gesellschaft selbst als deren Angelegenheit auszutragen ist
und sich nicht auf Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern beschränkt (BGH, Urteil
vom 25. September 1986 - II ZR 272/85 -, Rn. 8, juris). Das spezielle
sozialversicherungsrechtliche Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und
beitragsrechtlicher Tatbestände, wonach die Frage der Versicherungspflicht bei Beginn der
Tätigkeit, jedenfalls aber zukunftsbezogen zu jeder Zeit zu beantworten ist, schließt es aus,
an solche Regelungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags anzuknüpfen. Die
Anforderungen an die Aufhebung gesellschaftsvertraglicher Regelungen sind ungleich höher
als die für einfache Kündigungsrechte aus wichtigem Grund. Außerdem sind nur
gesellschaftsvertragliche Minderheitenrechte durch ihre Eintragungspflicht im
Handelsregister verlässlich erkennbar und damit auch für die Sozialversicherung einfach
nachvollziehbar. Dass das Gesellschaftsrecht demgegenüber an anderen praktischen
Bedürfnissen ausgerichtet sein kann, steht dem nicht entgegen (dazu BSG Urteil vom 11.
November 2015 - B 12 KR 10/14, Rn. 31).
Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht der (ehemaligen)
Landesversicherungsanstalt Brandenburg für den Beigeladenen zu 4) ab dem 1. September
1997 erfasste die Beschäftigung als Geschäftsführer nicht, weil sie sich auf eine selbständige
Tätigkeit beschränkte.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (
den das BSG am 11. November 2015 entschieden hat (B 12 KR 13/14 R) hatten die beiden
Gesellschafter der GmbH einen Stimmbindungsvertrag („Einheitliche Stimmabgabe“)
geschlossen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:LSG Berlin-Brandenburg
Erscheinungsdatum:27.05.2020
Aktenzeichen:L 9 BA 104/19
Rechtsgebiete:
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
In-sich-Geschäft
Sozialrecht
SGB IV §§ 28p, 7; BGB §§ 709, 723