Keine generelle Pflicht des Nachlasspflegers zur Auflösung von Aktiendepots
letzte Aktual is ierung: 30.07.2020
OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.4.2020 – 3 W 37/20
BGB §§ 1812 Abs. 1, 1915, 1960
Keine generelle Pflicht des Nachlasspflegers zur Auflösung von Aktiendepots
1. Im Rahmen einer Nachlasspflegschaft gibt es auch für Aktienvermögen keine generelle Pflicht zur
Umschichtung in eine mündelsichere Anlage. Der Nachlasspfleger hat vielmehr im Rahmen
pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, inwieweit im Hinblick auf die nach
Kapitalanlagekriterien zu ermittelnden Risiken eine Fortführung des Aktieninvestments vertretbar
erscheint (im Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –; OLG
Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17).
2. Auch die durch die Corona-Krise verursachten Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt dürften
keinen Anlass geben, ein Aktiendepot insgesamt aufzulösen. Inwieweit es geboten sein könnte, Teile
des Depots zu verkaufen oder umzuschichten, dürfte nur – ggf. mit Hilfe fachkundiger Beratung –
für jede Aktienposition gesondert entschieden werden können.
Gründe
I.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Goslar hat mit Beschluss vom 21.05.2019 – 7 VI 299/19 –
Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben des Erblassers angeordnet und den Beteiligte zu 1. zum
Nachlasspfleger mit den Wirkungskreisen der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie der
Ermittlung der Erben bestellt.
Mit Schreiben vom 02.07.2019 teilte der Nachlasspfleger mit, dass ein wesentlicher Teil des Nachlasses
aus einem Depot bestehe. Die Werte dieses Depots unterlägen Kursschwankungen. In Bezug auf einen
Depotwert sei in einem an den Erblasser adressierten Schreiben der Braunschweigischen
Landessparkasse vom März 2019 der Verkauf angeraten worden. Es handele sich bei dem Depot nicht um
eine mündelsichere Anlageform. Der Nachlasspfleger habe zu prüfen, ob eine Umwandlung in eine solche
Anlageform zur Vermeidung von Anlagerisiken geboten sei. Aufgrund der Schwankungen des Depots bzw.
der Depotwerte könne ein Anlagerisiko nicht verneint werden. Zur Sicherung des Depots sei deshalb der
Verkauf des Depots angedacht. Die Erlöse sollten anschließend dem Sparkonto gutgeschrieben werden.
Vor diesem Hintergrund beantragte er gemäß § 1812 BGB die nachlassgerichtliche Genehmigung zur
Auflösung des Depots zugunsten des Sparkontos des Erblassers.
Das Nachlassgericht bestellte daraufhin mit Beschluss vom 08.07.2019 Rechtsanwalt K. als
Verfahrenspfleger zur Vertretung der unbekannten Erben innerhalb des Genehmigungsverfahrens.
Mit Schreiben vom 16.07.2019 legte der Nachlassverwalter ein vorläufiges Nachlassverzeichnis zum
Stichtag 06.02.2019 vor. Aus diesem ergibt sich, dass der Erblasser über Immobilien im Wert von ca.
443.000 €, Giro-, Spar- und Kapitalkontobestände in Höhe von ca. 197.000 € sowie Depotwerte in Höhe
von ca. 1.040.000 € verfügte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Nachlassverzeichnisses
Bezug genommen (Bl. 29–31 d.A.).
Mit Schreiben vom 06.08.2019 nahm der Verfahrenspfleger zum Antrag des Nachlasspflegers wie folgt
Stellung. Der Depotbestand habe sich nicht negativ entwickelt. Der Depotbestand habe sich am
31.12.2018 auf 1.039,429,13 €, am 04.06.2019 auf 1.179.484,68 € und am 30.06.2019 auf 1.204.177,10 €
belaufen.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 12.09.2019 entschieden, dass die Genehmigung zur
Auflösung des Depots nicht erteilt wird und dies wie folgt begründet: Für den Nachlasspfleger bestehe
keine grundsätzliche Verpflichtung, Vermögen, welches nicht mündelsicher sei, umzuwandeln. Die
Entwicklung des Depots erscheine dem Nachlassgericht positiv, so dass die Genehmigung zur Auflösung
nicht zu erteilen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Nachlasspflegers vom 25.09.2019. Das gesamte Wesen der
Nachlasspflegschaft sei darauf angelegt, den Nachlass zu sichern. Dies spiegele sich unter anderem darin
wieder, dass Geldvermögen mündelsicher anzulegen sei. Aktien würden nicht der mündelsicheren Anlage
unterfallen. Der Nachlasspfleger habe nach pflichtgemäßen Ermessen die Anlageart zu wählen, die für den
Erhalt des Mündelvermögens die größte Sicherheit biete. Vorliegend handele es sich um 24 verschiedene
Aktienwerte sowie einen Aktienfonds. Diese würden den Schwankungen der Märkte unterliegen. Die
Gefahr einer Verschlechterung sei für die unbekannten Erben nicht hinnehmbar. Auf eine konkrete
Verschlechterung komme es nicht an; es genüge die abstrakte Gefahr.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 09.10.2019 nicht abgeholfen und die Sache
dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Der Verfahrenspfleger hat mit Schriftsatz vom 16.04.2020 Stellung genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß
sie frist- und formgerecht eingelegt worden (
Nachlasspfleger gegen den angegriffenen Beschluss nach
OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17 –, NLPrax 2019, 33, juris-Rn. 8).
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Nachlassgericht hat die beantragte Genehmigung zu
Recht versagt.
a) Die für eine Verfügung über Wertpapiere durch den Nachlasspfleger gemäß §§ 1812 Abs. 1, 1915 BGB
erforderliche Genehmigung des Nachlassgerichts ist zu erteilen, wenn dies dem Interesse der
unbekannten Erben entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.01.2013 – XII ZB 334/12 –, NJW-RR 2013,
323 zur betreuungsgerichtlichen Genehmigung, für die aufgrund der Verweisungsnorm des 1908i BGB
dieselben Maßstäbe gelten; OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 135/17 –, NLPrax 2019, 30,
juris-Rn. 12). Das Gericht hat dabei eine Gesamtabwägung aller Vor- und Nachteile sowie der Risiken des
zu prüfenden Geschäfts vorzunehmen; maßgebender Gesichtspunkt ist das Gesamtinteresse, wie es sich
zur Zeit der tatrichterlichen Entscheidung darstellt (BGH, a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 04.07.1989 –
BReg. 1a Z 7/89 –,
Wie der Regelungszusammenhang der Absätze 1 und 2 des
Nachlasspflegers mit den im gegebenen Fall angeordneten Wirkungskreisen, die Vermögensinteressen
der noch festzustellenden Erben auch dadurch wahrzunehmen, dass er den Nachlass erhält; denn das
Nachlassgericht hat im Anwendungsbereich des
sorgen“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –,
folgt, dass die Sicherung des Nachlasses Vorrang hat vor seiner Vermehrung (OLG Frankfurt, Beschluss
vom 06.12.2019 – 21 W 142/19 –, juris-Rn. 11; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Erhaltung kann, den
typischen Interessen unbekannter Erben entsprechend, regelmäßig aber nicht gegenständlich, sondern
muss wertbezogen verstanden und beurteilt werden. Dann aber ist der Nachlass nicht nur in seiner
Aktualität – dem gegenwärtig tatsächlich vorhandenen Bestand –, sondern auch in seiner Potenzialität,
nämlich seinen Wertentwicklungen zu berücksichtigen. Anderenfalls nähme man den festzustellenden
Erben diejenigen Chancen, die der Nachlass aufgrund seiner Vermögensstruktur zur Zeit des Erbfalls
enthielt und die deshalb unter dem Gesichtspunkt der Potenzialität gleichfalls dessen „Bestandteil“ waren,
während es keinen Grund gibt, die Erben von denjenigen Risiken zu entlasten, die sie, bildlich gesprochen,
gleichfalls vom Erblasser geerbt haben (so überzeugend: OLG Düsseldorf, a.a.O.).
b) Aus diesen Grundsätzen folgt für Kapitalvermögen, das nicht zur Erfüllung von Verbindlichkeiten
benötigt wird, folgende Bewertung:
Es besteht keine generelle Pflicht zur Umschichtung von nicht mündelsicheren Kapitalanlagen
(Kammergericht, Beschluss vom 20.05.1968 – 1 W 1274/68 –,
Herleitung aus der Entstehungsgeschichte; OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17 –,
NLPrax 2019, 33, juris-Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – 3 Wx 8/19 –, NJW-RR 2019,
714; Lafontaine, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. (Stand: 15.10.2019), § 1806 Rn. 8 mit weiteren Nachweisen).
Insoweit dürfen vielmehr der Gesamtbestand und die Gesamtzusammensetzung des Nachlasses nicht
unberücksichtigt bleiben. Auch eine risikobehaftete Anlageform muss keineswegs per se abgestoßen
werden, wenn das bestehende Risiko im Hinblick auf den Nachlass im Übrigen und bei wirtschaftlicher
Betrachtung vertretbar erscheint (OLG Hamm, a.a.O.). Es ist jeweils im Einzelfall und nur unter Würdigung
aller Vermögenspositionen zu beantworten, ob im Nachlass nach Kapitalanlagekriterien (der „effektiven
Vermögensverwaltung“) ein nicht mehr hinnehmbares Risiko vorhanden ist (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Eine
Ausnahme gilt nur für solche Anlageformen, die aus sich heraus mit einer – auf die Mitwirkung des
Nachlassgerichts angewiesenen und daher notwendigerweise in gewissem Maße zeitlich unflexiblen –
Verwaltung durch einen Nachlasspfleger unvereinbar und deshalb umzuschichten sind: falls nämlich deren
Volatilität so hoch ist, dass der Zeitfaktor, faktisch mithin die Möglichkeit sofortigen, mindestens taggleichen
Reagierens, geradezu ausschlaggebend für den Anlageerfolg ist, etwa bei Termin- und Optionsgeschäften
oder Derivaten (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Die Investition in Aktien stellt keine solche Anlageform dar. Zwar können auch Aktien – worauf der
Nachlasspfleger zu Recht hinweist – kurzfristig erheblichen Kursschwankungen unterliegen. Dies führt
aber in aller Regel nicht dazu, dass der Investitionserfolg, wie bei Termin- und Optionsgeschäften, von der
Möglichkeit sofortigen Handelns abhängt.
Insbesondere bei beträchtlichen Vermögen entspricht eine auch Aktien umfassende Streuung auf
verschiedene Anlagearten vielfach einer ausgewogenen Vermögensverwaltung (vgl. OLG München,
Beschluss vom 05.06.2009 – 33 Wx 124/09 –,
GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.12.2019, § 1811 Rn. 20; Kroll-Ludwigs, in: MüKoBGB, 8. Auflage
2020, § 1811 Rn. 13; Veit, in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, § 1811 Rn. 23; auch der
Bundesgerichtshof hat für das Vermögen eines Mündels oder Betreuten im Rahmen der Entscheidung
nach § 1811 BGB eine teilweise Anlage in Aktien nicht für generell ausgeschlossen erachtet: BGH, Urteil
vom 03.12.1986 – IV a ZR 90/85 –,
anscheinend besonders sicheren Anlagen langfristig ein durch die Inflation drohendes Verlustrisiko
enthalten (Fröschle, a.a.O., Rn. 17; Kroll-Ludwigs, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Dem unstreitigen
Umstand, dass die Investition in Aktien mit einem vergleichsweise hohen Risiko verbunden ist, kann durch
den Nachlasspfleger mit einer angemessenen Diversifizierung des Anlagevermögens Rechnung getragen
werden. Überschreitet der Umfang der Investitionen in vergleichsweise risikobehaftete Anlageformen
insgesamt das noch hinnehmbare Risiko, führt dies jedoch nicht dazu, dass ein vollständiger Ausstieg aus
diesem Investment gerechtfertigt ist; der Anteil der risikobehafteteren Anlageformen ist vielmehr auf ein
vertretbares Maß zu reduzieren (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –,
Die Genehmigung zur vollständigen Auflösung des Aktiendepots des Erblassers war nach alledem nicht zu
erteilen.
c) Auch die gegenwärtigen Verwerfungen auf dem Aktienmarkt aufgrund der aktuellen Corona-Krise geben
keinen Anlass, die vollständige Auflösung des Depots des Erblassers durch den Nachlasspfleger zu
genehmigen. Dies folgt bereits daraus, dass eine hierauf gerichtete Ermessensausübung des
Nachlasspflegers nicht vorliegt, da sein Antrag vor Beginn der Krise gestellt wurde. Gegenstand der
Prüfung des Nachlassgerichts bzw. des Beschwerdegerichts ist die Frage, ob eine beabsichtigte
Umschichtung des Vermögens dem pflichtgemäßen Ermessen als Nachlasspfleger entspricht (OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2019 – I-3 Wx 8/19 –,
seinen Antrag auf Genehmigung der Auflösung des Depots ausschließlich mit der ungeklärten Rechtsfrage
begründet, dass (bzw. ob) Aktiendepots eines Erblassers unabhängig von den Umständen des Einzelfalls
schon deshalb aufzulösen seien, weil es sich aufgrund der üblichen Kursschwankungen von Aktien nicht
um eine mündelsichere Anlageform handele. Er hat hingegen (noch) keine Entscheidung dazu getroffen,
ob – wenn dies nicht der Fall ist – das Aktiendepots aufgrund der konkreten Umstände der gegenwärtigen
Situation ganz oder teilweise aufgelöst werden soll. Insoweit hat zunächst der Nachlasspfleger das ihm
obliegende Ermessen auszuüben, bevor ggf. das Nachlassgericht auf erneuten Antrag des
Nachlasspflegers eine Entscheidung hierüber trifft.
Lediglich vorsorglich weist der Senat hierzu darauf hin, dass auch die aktuellen Verwerfungen auf dem
Kapitalmarkt keinen Anlass geben dürften, das Depot insgesamt aufzulösen und auf diese Weise die
entstandenen Buchverluste zu realisieren. Ob bzw. inwieweit es geboten sein könnte, Teile des Depots zu
verkaufen oder umzuschichten, dürfte nur – ggf. mit Hilfe fachkundiger Beratung – für jede Aktienposition
gesondert entschieden werden können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Es entspricht im vorliegenden Fall billigem Ermessen im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, die
Gerichtskosten den unbekannten Erben aufzuerlegen. Das Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung
hinsichtlich der vom Gesetzgeber typischerweise als besonders bedeutend bzw. besonders
gefahrenträchtig eingestuften Rechtshandlungen des Nachlasspflegers besteht in erster Linie im Interesse
der unbekannten Erben. Jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – der vom Nachlasspfleger bei
Wahrnehmung dieses Interesses eingenommene Standpunkt sachlich gut vertretbar ist, widerspräche es
billigem Ermessen, ihn mit den Gerichtskosten zu belasten, wenn er sich mit dieser Position im Ergebnis
nicht durchzusetzen vermag (OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2017 – 15 W 136/17 –, NLPrax 2019, 33,
juris-Rn. 14).
Für eine Verpflichtung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens besteht keine
Veranlassung.
Die Wertfestsetzung beruht auf
verfolgte Interesse des Nachlasspflegers am Vollzug der Auflösung des Depots lässt sich wirtschaftlich
nicht tragfähig schätzen. Der Wert des Depots bietet hierfür keine geeignete Grundlage. Nach der
gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung steht nicht der Vermögenswert des Depots selbst im Streit,
sondern (nur) die Frage, mit welcher Chancen- und Risikostruktur dieser Wert angelegt werden soll. In
Ermangelung geeigneter Anhaltspunkte für die Schätzung des Wertes dieser Frage ist auf den Auffangwert
des
Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht
vor. Die Entscheidung beruht tragend auf den Umständen des Einzelfalls.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Braunschweig
Erscheinungsdatum:20.04.2020
Aktenzeichen:3 W 37/20
Rechtsgebiete:
Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
FGPrax 2020, 131-133
NJW-RR 2020, 710-712
BGB §§ 1812 Abs. 1, 1915, 1960