Umfang der Prüfung des Grundbuchamts; Zweifel an Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers; Falschschreibung des eigenen Vornamens; Vertauschen zweier Buchstaben
letzte Aktualisierung: 23.2.2023
OLG Schleswig, Beschl. v. 27.1.2023 – 2 Wx 64/22
GBO §§ 18, 20, 29
Umfang der Prüfung des Grundbuchamts; Zweifel an Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers;
Falschschreibung des eigenen Vornamens; Vertauschen zweier Buchstaben
1. Das Grundbuchamt hat die Geschäftsfähigkeit des Erklärenden zum Zeitpunkt der Abgabe der
Erklärung (hier: der Vollmacht) selbständig zu prüfen. Dabei hat es vom Grundsatz der
Geschäftsfähigkeit Volljähriger auszugehen. Ergeben sich jedoch auf Tatsachen gegründete Zweifel
an der Geschäftsfähigkeit, ist dem durch Zwischenverfügung nachzugehen und dem Antragsteller
aufzugeben, die Zweifel etwa durch Vorlage ärztlicher Bescheinigungen auszuräumen. An die
Beurteilung der Geschäftsfähigkeit durch den beurkundenden Notar ist das Grundbuchamt nicht
gebunden.
2. Hat der Erklärende bei der Unterschrift unter die Urkunde seinen Vornamen nicht fehlerfrei
geschrieben und dies entweder nicht bemerkt hat oder trotz eines Bemerkens so hingenommen,
kann dies Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Erklärenden begründen. Dies gilt insbesondere
dann, wenn es sich nicht um einen bloßen Schreibfehler im Sinne einer motorischen Fehlleistung
handelt, sondern um eine falsche Reihenfolge der Buchstaben. Selbst wenn man ein Vertauschen der
Buchstaben beim eigenen Vornamen noch für nachvollziehbar hielte, ist die Tatsache, dass der
Fehler nicht korrigiert wurde, nur noch schwerlich zu erklären. Jedenfalls begründet dies einen so
erheblichen Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Erklärenden, dass nicht mehr vom Grundsatz der
Geschäftsfähigkeit ausgegangen werden kann.
Gründe
I.
Im Grundbuch von X Blatt … des Amtsgerichts Y sind Herr S1 (im Folgenden: Erblasser)
sowie die Antragstellerin und Beteiligte zu 2 zu je 1/2 als Miteigentümer eingetragen. Die
Beteiligte zu 2 wurde am ...1933 geboren.
Am 24.11.2022 haben die Antragsteller die Löschung eines Rechtes, die Schließung des
Erbbaugrundbuches und die Eintragung einer Eigentumsvormerkung gemäß § 7 des
(beigefügten) Vertrages beantragt. Dem Antrag beigefügt war ein Grundstückskaufvertrag vom
23.11.2022 (UVZ-Nr. … des Notars Z aus X). Ausweislich dieses Vertrages veräußern die
Antragsteller und Beteiligten zu 1-4 (zugleich Erben des Erblassers) das
verfahrensgegenständliche Grundstück, wobei die Beteiligte zu 2 durch ihren Sohn, den
Beteiligten zu 1, vertreten wurde. Ebenfalls beigefügt war die Generalvollmacht mit
Betreuungsverfügung vom 10.05.2022 (UVZ-Nr. … des Notars Z aus X), mit der die Beteiligte
zu 2 den Beteiligten zu 1 umfassend bevollmächtigt hat. Am Ende der Urkunde befindet sich an
der Stelle über der Unterschrift des Notars folgendes handschriftliches Schriftbild: Zunächst
sind schwach ein „S“ sowie einige unleserliche Striche dahinter zu erkennen. Danach ist der
Nachname der Beteiligten zu lesen und dahinter die Buchstabenfolge „Eran“. Zur Errichtung
der Vollmachtsurkunde hatte sich der Notar in die Pflegeeinrichtung begeben, in der die
Beteiligten zu 2 wohnt.
Nach einem ersten Hinweis des Grundbuchamtes vom 30.11.2022, in dem Zweifel an der
Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2 geäußert wurden, nahm der Notar dahingehend Stellung,
dass die Beteiligte zu 2 nach seiner Einschätzung zwar etwas aufgeregt, aber absolut klar und im
Bilde gewesen sei, er habe mit ihr eingehend über die beabsichtigte Erteilung einer
Generalvollmacht gesprochen. Aufgrund ihrer körperlichen Gebrechlichkeit und latenten
Aufgeregtheit sei sie nicht in der Lage gewesen, ihre Unterschrift flüssig unter die Urkunde zu
setzen. Daher würde auch das nicht identifizierbare Schriftzeichen herrühren.
Mit der angegriffenen Zwischenverfügung vom 02.12.2022 hat das Grundbuchamt des
Amtsgerichts Y den Antragstellern aufgegeben, die Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2 zum
Zeitpunkt der Vollmachtserteilung durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen. Das
Grundbuchamt habe begründete Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2 zum
Zeitpunkt der Vollmachtserteilung. Die nicht eindeutig identifizierbaren Schriftzeichen vor der
Unterschrift der Beteiligten würden für sich allein betrachtet nicht zwingend auf eine
Geschäftsunfähigkeit hindeuten. Ein im eigenen Vornamen enthaltener Schreibfehler in Form
eines Buchstabendrehers („Eran“ statt „Erna“) würde hingegen erhebliche Zweifel an der
Geschäftsfähigkeit begründen, da er regelmäßig auf eine starke Einschränkung im Bereich der
geistigen Funktionen zurückzuführen sei. Die vom Notar angeführte Aufgeregtheit der
Beteiligten zu 2 als Ursache überzeuge nicht. Selbst wenn der Schreibfehler selbst hierauf
zurückzuführen sein möge, bliebe unerklärt, weshalb der Fehler von der Beteiligten
offensichtlich unbemerkt und unkorrigiert geblieben sei. An die Überzeugung des Notars, bei
dem bei Beurkundung keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2
aufgekommen seien, sei das Grundbuchamt nicht gebunden.
Hiergegen haben die Beteiligten am 19.12.2022 Beschwerde eingelegt. Die Beteiligte zu 2 habe
lediglich einfache Volksschulbildung und sich Zeit ihres Lebens kaum um schriftliche Dinge
gekümmert. Infolge eines körperlichen Gebrechens habe sie schon sehr lange Zeit keine
schriftlichen Dinge mehr erledigt.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23.12.2022 nicht abgeholfen und
die Beschwerde dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 20.01.2023 hat der die Beteiligten vertretende Notar eine Stellungnahme des
Deutschen Notarinstituts vom 20.01.2023 eingereicht. Auf den Inhalt wird Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Grundbuchamt hat den Antragstellern und Beteiligten zu 1-4 zu Recht mit der
angegriffenen Zwischenverfügung aufgegeben, die Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der
Beteiligten zu 2 auszuräumen.
Das Grundbuchamt hat die Geschäftsfähigkeit der Erklärenden zum Zeitpunkt der Abgabe der
Erklärung (hier: der Vollmacht) selbständig zu prüfen (OLG Hamm, Beschluss vom
5. November 2014 – I-15 W 452/14 –, Rn. 3, juris; Demharter GBO, 32. Aufl., § 20 Rn. 38.2).
Dabei hat es vom Grundsatz der Geschäftsfähigkeit Volljähriger auszugehen (Meikel GBO,
12. Aufl., § 29 Rn. 134; OLG Hamm aaO).
Ergeben sich jedoch auf Tatsachen gegründete Zweifel an der Geschäftsfähigkeit, ist dem durch
Zwischenverfügung nachzugehen und dem Antragsteller aufzugeben, die Zweifel etwa durch
Vorlage ärztlicher Bescheinigungen auszuräumen (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom
11. Januar 2012 – 9 W 526/11 –, Rn. 12, juris; Meikel, aaO, Rn. 135: ärztliches Gutachten;
Demharter, aaO, § 18 Rn. 3: ärztliches Zeugnis; OLG München, Beschluss vom 29. August
2019 – 34 Wx 18/19 –, Rn. 17, juris). An die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit durch den
beurkundenden Notar ist das Grundbuchamt nicht gebunden (OLG Hamm, Beschluss vom
5. November 2014 – I-15 W 452/14 –, Rn. 3, juris).
Vorliegend hat das Grundbuchamt zu Recht Zweifel an der Geschäftsfähigkeit geäußert, die auf
der Unterschrift der Beteiligten zu 2 unter der Vollmachtsurkunde gründen. Dass die Beteiligte
zu 2 ausweislich des Schriftbildes zusammen mit der Mitteilung des beurkundenden Notars
offensichtlich ein zweites Mal zur Unterschrift ansetzen musste, ist dabei mit der mangelnden
Übung der Beteiligten zu 2, ihrem hohen Alter sowie ihrer allgemeinen Gebrechlichkeit zu
erklären und erlaubt für sich genommen keinen Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der
Beteiligten zu 2. Die Tatsache jedoch, dass die Beteiligte zu 2 ihren aus vier Buchstaben
bestehenden Vornamen nicht fehlerfrei geschrieben und dies entweder nicht bemerkt hat oder
trotz eines Bemerkens so hingenommen hat, weckt doch erhebliche Zweifel. Dies gilt auch,
wenn man das sehr hohe Alter der Beteiligten zu 2 und ihre mangelnde Übung beim Schreiben
sowie ihre körperlichen Gebrechen in Rechnung stellt. Es handelt sich nicht um einen bloßen
Schreibfehler im Sinne einer motorischen Fehlleistung. Vielmehr wurden die Buchstaben für
sich genommen richtig und gut leserlich geschrieben, jedoch stimmt die Reihenfolge der
Buchstaben beim Vornamen nicht. Selbst wenn man ein Vertauschen der Buchstaben beim
eigenen Vornamen noch für nachvollziehbar hielte, ist die Tatsache, dass der Fehler nicht
korrigiert wurde, nur noch schwerlich zu erklären. Jedenfalls begründet dies einen so
erheblichen Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2, dass nicht mehr vom
Grundsatz der Geschäftsfähigkeit ausgegangen werden kann.
Zum weiteren Verfahren merkt der Senat an, dass die Zweifel an der Geschäftsfähigkeit auch
auf andere Weise als durch ein ärztliches Gutachten ausgeräumt werden können. Beispielsweise
kann auch eine (fundierte und aussagekräftige) ärztliche Bescheinigung (Demharter, aaO, § 18
Rn. 3: ärztliches Zeugnis) hierzu geeignet sein. Erforderlich ist auch nicht, dass der volle
Nachweis der Geschäftsfähigkeit erbracht wird, lediglich die bestehenden Zweifel sind
auszuräumen (Demharter, aaO, § 20 Rn. 38.2, § 18 Rn. 3; Meikel, aaO, Rn. 135 mwN).
Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 61 Abs. 1, 36
Abs. 3 GNotKG.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Schleswig
Erscheinungsdatum:27.01.2023
Aktenzeichen:2 Wx 64/22
Rechtsgebiete:
Grundbuchrecht
Kostenrecht
GBO §§ 18, 20, 29