BGH 11. Dezember 209
XII ZB 357/19
FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 2 u. Abs. 4

Beschwerdeberechtigung des Vorsorgebevollmächtigten bzgl. Einrichtung einer Betreuung

letzte Aktualisierung: 30.01.2020
BGH, Beschl. v. 11.12.2019 – XII ZB 357/19

FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 2 u. Abs. 4
Beschwerdeberechtigung des Vorsorgebevollmächtigten bzgl. Einrichtung einer Betreuung

Legt der Bevollmächtigte im eigenen Namen Beschwerde ein, muss das Beschwerdegericht vor einer
Beschwerdeverwerfung jedenfalls in Erwägung ziehen, dass die Beschwerdeberechtigung hierfür aus
§ 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG folgen kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 –
XII ZB 438/16 – FamRZ 2017, 552).

Gründe:

I.
Die 1926 geborene Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz.
Im Jahr 2015 erteilte sie den Beteiligten zu 3 und 4 (im Folgenden: Bevollmächtigte)
eine notarielle Vorsorgevollmacht.

Nachdem sich herausstellte, dass die Bevollmächtigten Teile des Vermögens
der Betroffenen für eigene Zwecke verwandt hatten, hat das Amtsgericht
für die Betroffene eine Rechtsanwältin als Berufsbetreuerin bestellt. Die
Betreuung umfasst den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge,
Aufenthaltsbestimmung, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines
Heimpflegevertrags, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im
Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises, Haus- und Grundstücksangelegenheiten
und Widerruf der Vollmacht.

Das Landgericht hat die Beschwerden der Bevollmächtigten verworfen.
Hiergegen wenden sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG
statthaft. Die Beschwerdebefugnis der Bevollmächtigten folgt für das Verfahren
der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass ihre Erstbeschwerde verworfen
worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ
2017, 552 Rn. 5 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die
Beschwerde der Bevollmächtigten im eigenen Namen unzulässig sei, weil sie
nicht beschwerdebefugt seien. Die Beschwerdeberechtigung richte sich ausschließlich
nach § 59 FamFG. Die Vorsorgevollmacht verleihe den Bevollmächtigten
kein eigenes subjektives Recht. Es begründe auch kein eigenes Beschwerderecht,
nicht zum Betreuer bestellt worden zu sein.

b) Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

aa) Dass das Landgericht die vom Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten
zu 3 und 4 eingelegte Beschwerde dahin ausgelegt hat, dass sie im Namen
und Auftrag dieser eingelegt worden ist, ist rechtsbeschwerderechtlich ver-
tretbar und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen. Zutreffend
führt das Landgericht aus, dass sich weder aus § 303 Abs. 4 FamFG noch aus
§ 59 Abs. 1 FamFG eine eigene Beschwerdeberechtigung des Vorsorgebevollmächtigten
gegen die Einrichtung einer Betreuung ergibt (vgl. Senatsbeschluss
vom 25. Januar 2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 6 mwN).

bb) Gleichwohl hält die angefochtene Entscheidung einer rechtlichen
Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat, wie die Rechtsbeschwerde zu
Recht rügt, nicht geprüft, ob sich ein Recht der Bevollmächtigten zur Beschwerde
im eigenen Namen möglicherweise aus § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ergibt,
obwohl hierzu aufgrund des Akteninhalts Anlass bestanden hat.

(1) Nach der Rechtsprechung des Senats schließt die Beteiligung einer
Person nach § 274 Abs. 1 Nr. 3 FamFG - also als Bevollmächtigter, sofern der
Aufgabenkreis betroffen ist - in Betreuungsverfahren nicht aus, dass dieselbe
Person zugleich nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG auch sog. Kann-Beteiligte des
Verfahrens und dann gemäß § 303 Abs. 2 FamFG im eigenen Namen beschwerdeberechtigt
ist. Die Beteiligung erfolgt dann einheitlich und nicht aufgespalten
in verschiedene Funktionen. Soweit eine Person – wie hier – bereits
Muss-Beteiligter ist, kommt ihre zusätzliche Hinzuziehung nach § 7 Abs. 3 FamFG
nicht in Betracht, weil die Hinzuziehung nur für weitere Personen, nicht
aber für dieselbe Person in einer weiteren Beteiligtenrolle vorgesehen ist (Senatsbeschluss
vom 25. Januar 2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 9
f. mwN).

Legt der Bevollmächtigte entgegen § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG im eigenen
Namen Beschwerde ein, muss das Beschwerdegericht daher vor einer Beschwerdeverwerfung
jedenfalls in Erwägung ziehen, dass die Beschwerdeberechtigung
hierfür aus § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG folgen kann. Entsprechende
Anhaltspunkte können sich nicht nur aus Beschwerdeschrift und -begründung,
sondern aus dem gesamten Akteninhalt ergeben. Nachdem es gemäß § 65
Abs. 1 FamFG nicht zwingend einer Beschwerdebegründung bedarf, kann der
Beschwerdeführer derartige Gesichtspunkte zudem in einer Stellungnahme auf
den Hinweis darlegen, den das Beschwerdegericht vor der Verwerfungsentscheidung
zu erteilen hat (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB
438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 13 mwN).

Als Vertrauensperson kommt in Betreuungssachen auch eine Person in
Betracht, die der Betroffene nicht benannt hat (Senatsbeschluss vom 25. Januar
2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 15 ff. mwN). Von einem §§ 274
Abs. 4 Nr. 1, 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG genügenden, aktuell bestehenden Vertrauensverhältnis
ist auszugehen, wenn der Betroffene einer Person eng verbunden
ist und ihr daher in besonderem Maße Vertrauen entgegenbringt. Dies
kann sich aus Äußerungen des Betroffenen, aber auch aus sonstigen Umständen
ergeben. Hierzu ist stets eine Einzelfallprüfung anzustellen (Senatsbeschluss
vom 25. Januar 2017 - XII ZB 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 24 mwN).

(2) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

Das Landgericht, das schon den erforderlichen Hinweis nicht erteilt hat,
hat nicht geprüft, ob die Bevollmächtigten auch Personen des Vertrauens im
Sinne der §§ 303 Abs. 2 Nr. 2, 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG sind.

Nach dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Akteninhalt
erscheint es möglich, dass die Bevollmächtigten auch Personen des Vertrauens
der Betroffenen sind. In ihrer Anhörung hat die Betroffene angegeben,
dass sie außer den Bevollmächtigten sonst niemanden mehr habe, der ihr näher
wäre. Ferner hat sie erklärt, dass sie den Bevollmächtigten vertraue und
diese weiterhin bei sich haben möchte.

Das Landgericht hätte mithin im Rahmen seiner – die Zulässigkeit des
Rechtsmittels betreffenden – Amtsermittlungspflicht der Frage nachgehen müssen,
ob die Bevollmächtigten nicht nur Bevollmächtigte, sondern auch Vertrauenspersonen
der Betroffenen sind und ihre Beschwerde im Interesse der Betroffenen
eingelegt haben.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist
an das Landgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif
ist (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

11.12.209

Aktenzeichen:

XII ZB 357/19

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

NJW-RR 2020, 257-258

Normen in Titel:

FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 2 u. Abs. 4