Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments; Anordnung von Vor- und Nacherbfolge; Wechselbezüglichkeit der getroffenen Verfügungen
letzte Aktualisierung: 6.2.2025
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.12.2024 – 14 W 87/24 (Wx)
BGB §§ 133, 2247, 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 S. 1
Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments; Anordnung von Vor- und Nacherbfolge;
Wechselbezüglichkeit der getroffenen Verfügungen
1. Die in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Formulierungen „Wir setzen uns gegenseitig
zu befreiten Vorerben ein.“ und „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere
Söhne … zu je ½ sein.“ legen eine Auslegung dahingehend nahe, dass hierin die Anordnung einer
Vor- und Nacherbschaft nach dem Erstversterbenden und zugleich die Einsetzung der
gemeinsamen Kinder zu gleichberechtigten Vollerben nach dem Letztversterbenden zu sehen ist.
2. Im Fall der gegenseitigen Einsetzung des längerlebenden Ehegatten als (gesamt-)befreiten Vorerben
besteht ein Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte den anderen nur deswegen als befreiten
Vorerben eingesetzt hat, weil er darauf vertraut hat, dass das beim Tod des Überlebenden
verbliebene gemeinsame Vermögen auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird.
Gründe
I.
Der Beteiligte Ziffer 2 begehrt die Einziehung eines zugunsten der Beteiligten Ziffer 1
ausgestellten Erbscheins.
Die Beteiligte Ziffer 1 ist die zweite Ehefrau des E. (im Folgenden: Erblasser), der am
xx.xx.2021 verstorben ist. Die Eheschließung fand am xx.xx.1983 statt. Der Beteiligte Ziffer 2
ist ein Sohn des Erblassers aus erster Ehe. Die erste Ehefrau des Erblassers, M., ist am
xx.xx.1981 vorverstorben. Ein weiterer gemeinsamer Sohn des Erblassers und seiner ersten
Ehefrau, M., ist am xx.xx.1998 vorverstorben.
Der Erblasser war an der Errichtung der folgenden letztwilligen Verfügungen beteiligt:
1. Gemeinschaftliches Testament vom 14.06.1980 des Erblassers und seiner ersten Ehefrau mit
folgendem Inhalt (auszugsweise):
„Testament:
…
I.
Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein.
II.
Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne A. und M. zu je ½ sein.
III.
Die Nacherbfolge soll eintreten, beim Tode des Letztversterbenden.
…“
2. Gemeinschaftliches Testament vom 21.06.2007 des Erblassers und der Beteiligten Ziffer 1
mit folgendem Inhalt (auszugsweise):
„Testament
Wir … setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.
Nach dem Ableben des Letztverbleibenden ist die Tochter B. Alleinerbin.
…“.
3. Gemeinschaftliches Testament vom 28.05.2019 des Erblassers und der Beteiligten Ziffer 1
mit folgendem Inhalt (auszugsweise):
„Testament
Wir … setzen uns hiermit gegenseitig zu Alleinerben ein.
…
Für den Fall, dass der Letztlebende von uns keine anderweitige Bestimmung trifft, wird Erbe des Letztlebenden
von uns bei dessen Tod A.
…“
Mit öffentlicher Urkunde des Notars W. vom 22.04.2022 (UVZ 1011/2022) beantragte die
Beteiligte Ziffer 1 einen Erbschein, der sie aufgrund gewillkürter Erbfolge als Alleinerbin nach
dem Erblasser ausweisen sollte. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Freiburg
vom 30.05.2022 wurde der Erbschein antragsgemäß erteilt.
Mit Beschluss vom 02.08.2024 hat das Amtsgericht - Nachlassgericht - Freiburg im Breisgau die
Einziehung des Erbscheins vom 30.05.2022 abgelehnt. Zur Begründung hat das Nachlassgericht
unter anderem ausgeführt, es sei zur Überzeugung gelangt, dass der Erbeinsetzung der
Beteiligten Ziffer 1 im gemeinschaftlichen Testament vom 28.05.2019 keine Bindungswirkung
aus dem gemeinschaftlichen Testament vom 14.06.1980 entgegenstehe. Bei lebensnaher
Auslegung enthalte das gemeinschaftliche Testament vom 14.06.1980 nämlich keine
Bestimmungen hinsichtlich des Nachlasses des Letztversterbenden.
Hiergegen richtet sich die am 19.08.2024 beim Nachlassgericht eingegangene Beschwerde des
Beteiligten Ziffer 2 vom 14.08.2024, mit der dieser weiterhin die Einziehung des nach seiner
Auffassung unrichtigen Erbscheins begehrt.
Mit Beschluss vom 05.09.2024 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und
die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß
eingelegte Beschwerde des Beteiligten Ziffer 2 ist begründet. Das Nachlassgericht war
anzuweisen, den zugunsten der Beteiligten Ziffer 1 erteilten Erbschein vom 30.05.2022
einzuziehen, da dieser unrichtig im Sinne des
1. Der Erbschein vom 30.05.2022 ist unrichtig, da die Beteiligte Ziffer 1 nicht Alleinerbin nach
dem Erblasser ist. Ihrer (insoweit gleichlautenden) Einsetzung als Alleinerbin in den
gemeinschaftlichen Testamenten vom 21.06.2007 und vom 28.05.2019 steht die
Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 14.06.1980 entgegen, § 2271 Abs. 2
Satz 1 Hs. 1 BGB.
a) Nach
Zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nach
der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichtet und der andere
Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet,
Bei der Auslegung eines jeden Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen
und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (
wie hier – um ein gemeinschaftliches Testament, ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen
Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen hat.
Das ist nötig, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur
aufeinander abgestimmt werden, sondern erfahrungsgemäß nicht selten auch inhaltlich
abgesprochen und insofern Ergebnis und Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses
beider Teile sind (vgl. BGH, Urteil vom 07.10.1992 - IV ZR 160/91, Rn. 12, juris).
Der Wortlaut der Verfügung von Todes wegen ist dabei als erster Ansatzpunkt für die
Auslegung relevant, wenn dieser auch – mit Blick auf das maßgebliche Ziel der Feststellung des
wirklichen Willens – nicht die Grenze der Auslegung bildet (Bayerisches Oberstes
Landesgericht, Beschluss vom 05.02.1997 – 1Z BR 180/95, Rn. 39, juris; OLG Stuttgart,
Beschluss vom 23.11.2020 - 8 W 359/20, Rn. 18, juris; MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022,
§ 2084 Rn. 11; BeckOGK/Küpper, BGB, Stand: 01.07.2024, § 2100 Rn. 67). Entscheidend ist
im Ergebnis nicht der Sinn der Worte im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern die Bedeutung,
die der Erblasser ihnen zumisst (BGH, Urteil vom 07.10.1992 - IV ZR 160/91, Rn. 10, juris;
MüKoBGB/Leipold, a. a. O., § 2084 Rn. 12). Dabei ist insbesondere bei der Auslegung
juristisch (scheinbar) eindeutiger Begriffe Vorsicht geboten. Soweit diese von Laien verwendet
werden, können sie eine andere Bedeutung aufweisen als ihr juristischer Sinngehalt
(MüKoBGB/Leipold, a. a. O., § 2084 Rn. 41).
Wechselbezüglich sind nach
Ehegattentestament getroffenen Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung
des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Es muss also für jede
einzelne Verfügung geprüft werden, ob sie in einem solchen Verhältnis der
Wechselbezüglichkeit zu der letztwilligen Verfügung des erstverstorbenen Ehegatten steht. Die
Wechselbezüglichkeit von Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament ist
vorrangig durch individuelle Auslegung zu ermitteln. Lediglich wenn diese zu keinem
zweifelsfreien Ergebnis führt, kommt die Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2
BGB in Betracht (st. Rspr., vgl. nur OLG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - 15 W 127/00,
Rn. 24, juris).
Für die vor Anwendung der Auslegungsregel des
nach dem tatsächlichen Willen der Erblasser besteht nach zutreffender Meinung ein
Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeinsetzung seine Kinder beim Tod
als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen beim
Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird (vgl. Senat, Beschluss vom
03.01.2023 - 14 W 111/22 (Wx), Rn. 23, juris; OLG München, Beschluss vom 01.12.2011 - 31
Wx 249/10, Rn. 28, juris; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neub. 2019, § 2270 Rn. 26a auch zur
Gegenmeinung). Für den – vorliegend relevanten – Fall der Einsetzung des längerlebenden
Ehegatten als befreiten Vorerben, der jedenfalls bei einer Gesamtbefreiung (dazu
BeckOGK/Deppenkemper, BGB, Stand: 01.11.2024, § 2136 Rn. 29) eine mit einem Vollerben
in vielerlei Hinsicht vergleichbare Rechtsstellung innehat, gilt nach Auffassung des Senats
Gleiches. Wenn sich Ehegatten wechselseitig zu befreiten Vorerben einsetzen, enterben sie ihre
als Nacherben vorgesehenen eigenen Kinder – anders als bei einem „klassischen“ Berliner
Testament – zwar nicht; in Hinblick auf die Befreiung von den Beschränkungen eines Vorerben
hängt es gleichwohl maßgeblich vom Verhalten des überlebenden Ehegatten ab, ob und
inwieweit die Nacherben vom Vermögen des Erstversterbenden noch profitieren werden. Wer
die eigenen Kinder vermögensrechtlich absichern will, für den ersten eigenen Todesfall aber
gleichwohl einen umfänglich befreiten Vorerben einsetzt, tut dies – insoweit nicht anders als bei
einem klassischen Berliner Testament – im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der
Erbeinsetzung des anderen Ehegatten jedenfalls das zum Zeitpunkt des Ablebens des
Letztversterbenden verbliebene gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen
wird. Das Gesetz schützt dieses Vertrauen der Eheleute in den Bestand einer solchen Regelung,
indem es zu Lebzeiten beider Ehegatten einen einseitigen Widerruf nur in einer besonderen
Form gestattet, die sicherstellt, dass der andere Ehegatte von dem Widerruf erfährt (§ 2271
Abs. 1 Satz 1,
Widerruf grundsätzlich ausschließt (
Nach der Auslegungsregel des
wenn dem einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht wird und für
den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird,
die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Erblasser und dessen
vorverstorbene erste Ehefrau M. in dem gemeinschaftlichen Testament vom 14.06.1980
hinsichtlich des Vermögens des Erstversterbenden (befreite) Vor- und Nacherbschaft,
hinsichtlich des Vermögens des Letztversterbenden die Einsetzung der gemeinsamen Kinder zu
gleichberechtigten Vollerben angeordnet haben (dazu aa). Bei der Einsetzung der beiden Söhne
als gleichberechtigte Erben nach dem Letztversterbenden handelt es sich um eine
wechselbezügliche Verfügung im Sinne des
aa) Soweit sich die Eheleute wechselseitig zu „befreiten Vorerben“ eingesetzt haben, spricht
zunächst der Wortlaut der letztwilligen Verfügung dafür, dass sich die Eheleute – wenngleich es
sich bei diesen um juristische Laien gehandelt hat – darüber im Klaren waren, dass die juristische
Bedeutung des Rechtsinstituts der Vor-/Nacherbschaft mit der Trennung der Vermögen der
Eheleute in Zusammenhang steht und die Vor-/Nacherbschaft lediglich das Vermögen des
Erstversterbenden betrifft. Hierfür spricht nicht nur, dass die Eheleute ausdrücklich eine
Befreiung im Sinne des
wenn man sich hinsichtlich gewisser Einschränkungen der Rechte eines (unbefreiten) Vorerben
mit Blick auf die Nacherben im Klaren ist. Dass die Testierenden grundsätzlich um das Wesen
von Vor- und Nacherbschaft wussten, ergibt sich im Übrigen auch aus einem in der
Verfahrensakte befindlichen Schreiben der Beteiligten Ziffer 1 und des Erblassers an den
Beteiligten Ziffer 2 und dessen Ehefrau vom 23.10.2004 (AS 447 ff.), demzufolge der Erblasser
sowie die Beteiligte Ziffer 1 im Zusammenhang mit der Veräußerung einer zum Nachlass der
ersten Ehefrau des Erblassers gehörenden Immobilie zunächst sogar (rechtlich unzutreffend)
davon ausgegangen waren, dass dies nur mit Zustimmung der Nacherben möglich sei. Nach
allem beinhaltet das Testament hinsichtlich des Vermögens der vorverstorbenen ersten Ehefrau
des Erblassers tatsächlich die Einsetzung des Erblassers als befreiten Vorerben und der
gemeinschaftlichen Söhne als Nacherben und nicht etwa – was trotz der Verwendung der
Begriffe Vor- und Nacherbschaft nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. OLG München,
Beschluss vom 01.12.2011 – 31 Wx 249/10, Rn. 25, juris) – die gegenseitige
Alleinerbeneinsetzung mit Schlusserbeneinsetzung im Sinne eines klassischen Berliner
Testaments.
Darüber hinaus beinhaltet das gemeinschaftliche Testament vom 14.06.1980 aber auch die
Erbeinsetzung der gemeinschaftlichen Söhne der Testierenden nach dem Letztversterbenden.
Wenn es im Testament heißt, „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere
Söhne A. und M. zu je ½ sein.“ und „Die Nacherbfolge soll eintreten, beim Tod des
Letztversterbenden.“, lässt sich den Worten „auf das Erbe des Letztverstorbenen“ entnehmen,
dass die Eheleute – was für ein gemeinschaftliches Testament zudem typisch ist – auch eine
Regelung hinsichtlich der Erbfolge nach dem Letztverstorbenen treffen und sicherstellen
wollten, dass die gemeinschaftlichen Kinder das gesamte verbleibende Vermögen beider
Ehegatten erhalten. Denn die Worte „das Erbe des Letztversterbenden“ umschreiben das zu
vererbende Vermögen des Letztversterbenden, das mit dem Tod des Letztversterbenden
ebenfalls auf die gemeinschaftlichen Söhne übergehen sollte. Dass einerseits die Verwendung
des Begriffes „Nacherben“ bei einer juristischen Betrachtung lediglich hinsichtlich des
Vermögens des Erstverstorbenen zutreffend ist, andererseits das Vermögen des
Erstverstorbenen nicht zum „Erbe des Letztversterbenden“ zählt, sondern aufgrund des ersten
Erbfalls an die gemeinschaftlichen Söhne geht, steht der hier vorgenommenen Auslegung nicht
entgegen, sondern belegt lediglich einen juristisch unsauberen Sprachgebrauch, der bei
testierenden Laien nach den Erfahrungen des Senats nicht selten zu beobachten ist.
Soweit das Nachlassgericht seine Auffassung, wonach das Testament vom 14.06.1980 keine
Bestimmungen für das Ableben des Letztversterbenden beinhalte, maßgeblich darauf stützt,
dass die vorverstorbene erste Ehefrau des Erblasers zum Zeitpunkt der Errichtung des
Testaments bereits an Brustkrebs erkrankt gewesen sei und daher lediglich die Erbfolge nach ihr
habe geregelt werden sollen, überzeugt dies nicht. Hätte die erste Ehefrau des Erblassers – in
der Annahme ihres eigenen, zeitnahen Ablebens – lediglich erreichen wollen, dass ihr Vermögen
zunächst ihrem Ehemann als befreitem Vorerben und sodann den gemeinschaftlichen Kindern
als Nacherben zufällt, wäre die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nicht
erforderlich gewesen; sie hätte dies – ohne weiteres – durch die Errichtung eines
entsprechenden Einzeltestaments erreichen können. Der – in Hinblick auf die Unwägbarkeiten
des Lebens und der prognostischen Unsicherheiten des Verlaufes einer Erkrankung zudem
etwas spekulativ erscheinenden – Überlegung, ein Testat auf das Ableben des mutmaßlich
längerlebenden Erblassers sei nicht gewollt gewesen, steht letztlich der Wortlaut der letztwilligen
Verfügung entgegen, wonach „Nacherben“ „auf das Erbe des Letztverstorbenen“ eingesetzt
werden, ohne auch nur anzudeuten, dass dies lediglich im Falle des Vorversterbens der ersten
Ehefrau des Erblassers gelten und lediglich ihr Vermögen betreffen soll.
bb) Bereits die – vor Anwendung der Auslegungsregel des
Auslegung nach dem tatsächlichen Willen der Erblasser führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei
der Erbeinsetzung der gemeinschaftlichen Abkömmlinge um eine im Verhältnis zur Einsetzung
des anderen Ehegatten als befreiten Vorerben wechselbezügliche Verfügung im Sinne des
wonach die Einsetzung des Ehegatten als befreiten Vorerben durch den Erstversterbenden im
Vertrauen darauf erfolgt, dass das zum Zeitpunkt des Ablebens des Letztversterbenden
verbliebene gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird.
Selbst wenn – entgegen der Auffassung des Senats – Zweifel verbleiben sollten, dass die
genannten Verfügungen wechselbezüglich sind, wäre jedenfalls nach der ergänzend
heranzuziehenden Auslegungsregel des
jedenfalls nicht widerlegt ist, von einer Wechselbezüglichkeit auszugehen. Danach ist von
Wechselbezüglichkeit der Verfügungen zueinander im Zweifel auszugehen, wenn sich die
Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine
Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten
einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe
steht. Durchgreifende Umstände, die im vorliegenden Fall gegen dieses Auslegungsergebnis
sprechen, sind nicht zutage getreten. Der Umstand, dass der Erblasser durch Errichtung der
gemeinschaftlichen Testamente vom 21.06.2007 und vom 28.05.2019 neu testiert hat und sich
dabei in seiner Testierfreiheit offenbar nicht gebunden angesehen hat, stellt dafür kein
hinreichendes Indiz dar. Maßgeblich ist der Wille der beiden Ehegatten im Zeitpunkt der
Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vom 14.06.1980, also im Zeitpunkt, als die
vorverstorbene Ehefrau ihre letztwilligen Verfügungen getroffen hat. Für diesen Zeitpunkt
liegen nach Überzeugung des Senats keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor, dass nach dem
Willen der Erblasser die Erbeinsetzung ihrer gemeinsamen Kinder zu der jeweiligen Einsetzung
des anderen Ehegatten als befreiten Vorerben nicht in einer Wechselwirkung zueinander stehen
sollte.
Schließlich lässt sich auch der Bestimmung in dem gemeinschaftlichen Testament vom
14.06.1980, wonach der überlebende Ehegatte von den Beschränkungen der
befreit sein sollte, nicht entnehmen, dass von den Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit ihrer
Verfügungen nicht gewollt war. Eine solche Formulierung enthält regelmäßig lediglich die
Ermächtigung des Überlebenden über die Erbschaft unter Lebenden, nicht aber von Todes
wegen frei zu verfügen (OLG München, Beschluss vom 01.12.2011 - 31 Wx 249/10, Rn. 31,
juris; OLG Hamm, Urteil vom 29.03.2011 - 10 U 112/10, Rn. 35 ff., juris).
2. Die Einsetzung der Beteiligten Ziffer 1 als Alleinerbin in den gemeinschaftlichen Testamenten
vom 21.06.2007 und vom 28.05.2019 ist nach allem unwirksam.
Mit dem Tode der ersten Ehefrau des Erblassers trat die in
angeordnete erbrechtliche Bindung des überlebenden Erblassers an die wechselbezügliche
letztwillige Verfügung zugunsten der gemeinsamen Söhne ein, die ihn hinderte, diese noch
wirksam zu widerrufen oder abweichend von ihr letztwillig zu verfügen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Grundsätzen billigen Ermessens, wenn für das Einziehungsverfahren keine Gerichtskosten
erhoben werden und wenn jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Da Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist eine Wertfestsetzung nicht veranlasst.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach
nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:09.12.2024
Aktenzeichen:14 W 87/24 (Wx)
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Testamentsform
BGB §§ 133, 2247, 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 S. 1