OLG Saarbrücken 09. Januar 2024
5 W 71/23
BGB §§ 133, 2084, 2100

Testamentsauslegung; Anordnung von Vor- und Nacherbschaft; Definition des Nachlasses als das zum Zeitpunkt des Erstverstorbenen vorhandene Gesamtvermögen

letzte Aktualisierung: 20.6.2024
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.1.2024 – 5 W 71/23

BGB §§ 133, 2084, 2100
Testamentsauslegung; Anordnung von Vor- und Nacherbschaft; Definition des Nachlasses
als das zum Zeitpunkt des Erstverstorbenen vorhandene Gesamtvermögen

Die in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Anordnung der durch einen früheren
Erbvertrag bereits wechselseitig begünstigten Ehegatten, dass „nach dem Tode des Überlebenden
… der Nachlass zu gleichen Teilen an unsere Kinder… fallen“ solle und „als Nachlass … das zum
Zeitpunkt des Erstverstorbenen vorhandene Gesamtvermögen“ gelte, deutet auch mangels anderer,
in diese Richtung weisender Umstände außerhalb des Testaments nicht darauf hin, dass damit die
Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft beabsichtigt und der Überlebende bezüglich des
Nachlasses des zunächst Versterbenden nur als „Erbe auf Zeit sein“ eingesetzt sein sollte.

Gründe

I.
Der Beteiligte zu 1) beantragte mit notarieller Urkunde vom 30. März 2023 (UR xxx D Sch
des Notars B., L., Bl. 2 ff. d.A.) unter Berufung auf eine entsprechende erbvertragliche Verfügung
die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als alleinigen unbeschränkten Erben der am 28.
Dezember 2022 verstorbenen Erblasserin, seiner Ehefrau, ausweisen sollte. Die weiteren Beteiligten
sind die Kinder der Eheleute; allein die Beteiligten zu 3) und zu 4) sind dem Antrag
des Beteiligten zu 1) entgegengetreten mit dem Hinweis auf ein – im Original nicht vorliegendes
– handschriftliches Testament der Eheleute vom 22. März 2001, von dem sie die Ansicht
vertreten, diese beinhalte die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft.

In dem – in zeitlicher Hinsicht maßgeblichen – Erbvertrag vom 24. April 1987 (UR Nr. xxx des
Notars H., T., Bl. 8 ff. d.A. 15 IV 30/23) hatten die Eheleute sich gegenseitig, der Erstversterbende
den Längstlebenden, zu alleinigen Erben eingesetzt, und zwar unabhängig davon, ob
beim Tode des Erstversterbenden Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind oder nicht. Weiter
heißt es:

„Der Längstlebende soll zur freien und unbeschränkten Verfügung über den Nachlass des
Erstversterbenden berechtigt sein; der Längstlebende wird hierin auch nicht für den Fall
einer Wiederheirat nach dem Tode des Erstversterbenden beschränkt“.

Der Erbvertrag enthält den Zusatz, dass „die gegenseitige Erbeinsetzung… mit vertragsmäßiger
Bindung“ erfolgt. Unter dem Stichwort „Tod des Längstlebenden“ findet sich außerdem
folgende Regelung:

„Für den Fall des Todes des Längstlebenden wollen wir zunächst von einer Regelung absehen,
so dass – falls der Längstlebende später keine Verfügung trifft – es bei der gesetzlichen
Erbfolge nach dem Längstlebenden verbleibt“.

Das von den Beteiligten zu 3) und zu 4) in Bezug genommene, derzeit nur als Fotokopie vorliegende
– so überschriebene – „Testament“ (Bl. 17 d.A. 15 IV 30/23), das von dem Beteiligten
zu 1) ge- und unterschrieben wurde und dem die Erblasserin die Worte „Dies ist auch
mein letzter Wille“ sowie ihre Unterschrift hinzugesetzt hatte, enthält folgenden Wortlaut:

„Nach dem Tode des Überlebenden soll der Nachlass zu gleichen Teilen an unsere Kinder
A., geb…
D., geb…
T., geb…
fallen:

Als Nachlass gilt das zum Zeitpunkt des Erstverstorbenen vorhandene Gesamtvermögen.“

Der Beteiligte zu 1) hat mit einem an das Nachlassgericht gerichteten Schreiben vom 9. März
2023 (Bl. 23 d.A. 15 IV 30/23) erklärt, dass er trotz mehrmaliger intensiver Suche kein Original
habe finden können. Grund für die damalige Formulierung sei gewesen: „Sofern der
Überlebende wieder heiratet, ist notariell festzulegen, dass weder der erneute Ehepartner
noch deren Kinder einen Anspruch auf das Vermögen haben“.

Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 76 ff. d.A.) hat das Amtsgericht die zur Erteilung des
beantragten Erbscheines erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den Erlass eines
entsprechenden – unbeschränkten – Erbscheines angekündigt. Zur Begründung hat es
ausgeführt: Für die Annahme einer beschränkten Vorerbschaft lägen keine Anhaltspunkte
vor. Die wechselseitige Erbeinsetzung habe ausweislich des Erbvertrages aus dem Jahre 1987
nicht – noch nicht einmal für den Fall einer Wiederverheiratung – beschränkt erfolgen sollen.
Auch dem gemeinschaftlichen Testament sei keine entsprechende Beschränkung zu entnehmen;
vielmehr ergebe die Auslegung, dass dieses die erbvertragliche Regelung lediglich habe
bestätigen und ergänzen sollen, indem die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt
worden seien. Insbesondere der Zusatz, wonach als Nachlass das zum Zeitpunkt des Erstverstorbenen
vorhandene Gesamtvermögen gelten solle, verweise – auch aus Laiensicht – auf
die Einheitslösung, bei der sich die Ehegatten jeweils zu unbeschränkten Erben einsetzten.
Gegen diese ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 27. Oktober 2023 zugestellte Entscheidung
richtet sich die am 24. November 2023 eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 3)
und zu 4), die in der Regelung in dem handschriftlichen Testament weiterhin die Anordnung
einer Vor- und Nacherbschaft erblicken und mit dem Hinweis auf die Erklärung des Beteiligten
zu 1) in dessen Schreiben vom 9. März 2023 und auf (vermeintlich) angebotenen Zeugenbeweis
zum mutmaßlichen Erblasserwillen diesen in der abweichenden Auslegung des
Amtsgerichts nicht angemessen berücksichtigt sehen (Bl. 82 ff. d.A.). Das Amtsgericht hat
der Beschwerde mit Beschluss vom 27. November 2023 (Bl. 85 d.A.) nicht abgeholfen und
die Sache dem Senat zur Entscheidung über das Rechtsmittel vorgelegt. Der Senat hat die
Akten des Amtsgerichts Ottweiler – 15 IV 30/23 – beigezogen und eingesehen.

II.
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte Beschwerde der
Beteiligten zu 3) und zu 4) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Entscheidung des Amtsgerichts,
den beantragten Erbschein zu erteilen, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens
nicht zu beanstanden; denn die zur Begründung des Antrages des Beteiligten
zu 1) erforderlichen Tatsachen können für festgestellt erachtet werden (§ 352e Abs. 1 Satz 1
FamFG). Dieser ist ungeachtet der dagegen erhobenen Einwände aufgrund einer entsprechenden
gewillkürten Erbeinsetzung alleiniger unbeschränkter Erbe seiner am 28. Dezember
2022 verstorbenen Ehefrau geworden.

1.
Das Amtsgericht hat seiner Entscheidung richtigerweise zugrunde gelegt, dass sich die alleinige
Erbenstellung des Beteiligten zu 1), der Begründung seines Antrages entsprechend, aus
dem notariellen Erbvertrag der Eheleute vom 24. April 1987 (UR Nr. xxx = Bl. 8 ff. d.A. 15 IV
30/23, Abschnitt B) ergibt, der in Ziff. I. die Vereinbarung einer entsprechenden gegenseitigen
Erbeinsetzung enthält, verbunden mit der Anordnung, der Längstlebende solle zur freien
und unbeschränkten Verfügung über den Nachlass des Erstversterbenden berechtigt sein;
dagegen erinnert – zu Recht – auch die Beschwerde nichts. Der Senat teilt, ungeachtet der
darin erneuerten Einwände, aber auch die weitere Ansicht des Amtsgerichts, wonach der Beteiligte
zu 1) seine Ehefrau auf dieser Grundlage uneingeschränkt beerbt hat und insbesondere
nicht durch die späteren Anordnungen in dem gemeinschaftlichen Testament vom 22.
März 2001 lediglich als Vorerbe anzusehen ist. Denn die – gebotene – Auslegung dieser gegenwärtig
nur in Kopie vorliegenden, von den Beteiligten hinsichtlich ihrer Existenz und ihres
Inhaltes jedoch nicht in Zweifel gezogenen letztwilligen Verfügung (zur Beachtlichkeit unauffindbarer
Testamente etwa BayObLG NJW-RR 1992, 653; OLG Schleswig, NJW-RR 2014, 73;
OLG Köln, NJW-RR 2019, 71 sowie – jüngst – Gehrlein, ZEV 2023, 651) führt bei Berücksichtigung
aller maßgeblichen Umstände hier nicht zu der Annahme, dass damit die Anordnung
einer Nacherbschaft (§§ 2100 ff. BGB), d.h. eine – nach Maßgabe des § 2292 BGB zulässige
– Beschränkung der dem Überlebenden durch den vorangegangenen Erbvertrag uneingeschränkt
eingeräumten Rechtsstellung, beabsichtigt gewesen wäre.

a)
Bei der Auslegung eines Testaments, die der Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers
dient (§§ 133, 2084 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993,
256; Senat, Beschluss vom 9. Mai 2023 – 5 W 28/23, FamRZ 2024, 80), ist zu berücksichtigen,
dass der Sprachgebrauch nicht immer so exakt ist oder sein kann, dass der Erklärende
mit seinen Worten genau das unmissverständlich wiedergibt, was er zum Ausdruck bringen
wollte. Deshalb ordnet § 133 BGB an, den Wortsinn der benutzten Ausdrücke unter Heranziehung
aller Umstände zu „hinterfragen“: Nur dann kann die Auslegung der Erklärung durch
den Richter gerade die Bedeutung auffinden und ihr die rechtliche Wirkung zukommen lassen,
die der Erklärende seiner Willenserklärung „wirklich“ beilegen wollte (BGH, Urteil vom
24. Juni 2009 – IV ZR 202/07, NJW-RR 2009, 1455; Senat, a.a.O.; Urteil vom 17. Dezember
2021 – 5 U 22/21, ErbR 2022, 1107). Gelingt es ihm trotz der Auswertung aller zur Aufdeckung
des Erblasserwillens möglicherweise dienlichen Umstände nicht, sich von dem tatsächlich
vorhandenen, wirklichen Willen zu überzeugen, dann muss er sich notfalls damit begnügen,
den Sinn zu ermitteln, der dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen am ehesten entspricht
(BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41). Nur soweit Zweifel verbleiben,
sind die gesetzlichen Auslegungsregeln des Erbrechts heranzuziehen (Weidlich, in:
Grüneberg, BGB 83. Aufl., § 2084 Rn. 3). Handelt es sich – wie hier – um ein gemeinschaftliches
Testament, ist bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen
Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen
hat (BGH, Urteil vom 26. September 1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229, 233). Lässt sich
bei der Auslegung der einzelnen Verfügungen eine derartige Übereinstimmung der beiderseitigen
Vorstellungen und Absichten nicht feststellen oder lag eine solche nicht vor, dann muss
allerdings auf den Willen gerade des Erblassers abgestellt werden, um dessen testamentarische
Verfügung es geht; hierbei kommt es jedoch, anders als bei einseitigen Testamenten,
nicht allein auf den Willen des betreffenden Testators an, um dessen Verfügung es geht; vielmehr
muss gemäß dem hier anzuwendenden § 157 BGB eine Beurteilung aus der Sicht des
anderen Ehegatten stattfinden: Dieser muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen
auf diejenigen des anderen Teiles einzustellen und umgekehrt (BGH, Urteil vom 7. Oktober
1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256).

b)
Die – hier diskutierte – Anordnung einer Nacherbfolge setzt voraus, dass der Erblasser zwei
oder mehrere Personen dergestalt zu Erben eingesetzt hat, dass der Nachlass in seiner Gänze
den Bedachten zeitlich nacheinander zufallen soll. Nachlass ist hier stets nur das ursprüngliche
Vermögen des Erblassers, denn der Erblasser kann nur hinsichtlich des Vermögens,
das der Vorerbe von ihm im Wege des Erbganges erhält, nicht aber hinsichtlich dessen
Gesamtvermögens einen Nacherben einsetzen (Schneider in: jurisPK-BGB 10. Aufl., § 2100
Rn. 8). Eine ausdrückliche Bezeichnung als Vor- und Nacherbfolge ist nicht erforderlich und
auch nicht unbedingt maßgeblich; vielmehr genügt es, dass sich ein entsprechender Wille
des Erblassers – bzw., hier, beider Ehegatten – aus der letztwilligen Verfügung durch Auslegung
ermitteln lässt (BGH, Urteil vom 22. September 1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277;
Lieder, in: MünchKomm-BGB 9. Aufl., § 2100 Rn. 11 ff.). Entscheidend für die Annahme einer
Anordnung von Vor- und Nacherbschaft ist danach, dass der Erblasser den zunächst Bedachten
nur bis zum Eintritt eines bestimmten Zeitpunktes oder Ereignisses („Erbe auf Zeit“) bedenken
und nach ihm noch einen anderen zu seinem Erben einsetzten wollte. Bei der Auslegung
eines gemeinschaftlichen Testaments ist dementsprechend zu fragen, ob im Sinne der
„Trennungslösung“ Vor- und Nacherbeneinsetzung oder aber die – von § 2269 BGB für das
sog. „Berliner Testament“ favorisierte – „Einheitslösung“ mit Schlusserbeneinsetzung gewollt
war (Schneider in: jurisPK-BGB, a.a.O., § 2100 Rn. 8 f.; Küpper, in: BeckOGK Stand:
1.10.2023, § 2100 Rn. 65). Vor- und Nacherbschaft kann hier – unabhängig von der Begriffswahl
– nur dann gewollt sein, wenn die Eheleute die Vorstellung hatten, dass beim Tode des
länger lebenden Ehegatten das Gesamtvermögen getrennt nach dem Vermögen des Vorverstorbenen
und dem Eigenvermögen des Überlebenden vererbt werden und als je getrennte
Vermögensmassen auf die (Nach-)Erben übergehen soll (vgl. OLG Schleswig, FamRZ 2017,
403, 405; BayObLG NJW 1966, 1223; OLG Hamm, FamRZ 2003, 1503, 1505; OLG Brandenburg
FGPrax 2023, 75; Weidlich, in: Grüneberg, a.a.O., § 2100 Rn. 5 ff.).

c)
Dies zugrunde legend, erachtet der Senat das Auslegungsergebnis des Amtsgerichts, wonach
mit der in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Bestimmungen zum weiteren
Schicksal des – darin zugleich näher umschriebenen – „Nachlasses“ nicht die Anordnung einer
Nacherbfolge, sondern eine den überlebenden Ehegatten nicht beschwerende Schlusserbeneinsetzung
der Beteiligten zu 2) bis 4) beabsichtigt war, unter Berücksichtigung aller
maßgeblichen Umstände für zutreffend.

aa)
Aus dem – vorrangig in Betracht zu nehmenden – Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments
ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft.
Die Wendung, nach dem Tode des Überlebenden solle der Nachlass zu gleichen Teilen an die
gemeinsamen Kinder der Eheleute fallen, gibt dafür überhaupt nichts her und lässt insbesondere
nicht erkennen, dass der Überlebende in Ansehung der durch den ersten Erbfall erworbenen
Rechte lediglich „Erbe auf Zeit“ sein solle. Vielmehr weist das Amtsgericht vollkommen
zu Recht darauf hin, dass auch der weitere Zusatz, wonach als „Nachlass“ das zum Zeitpunkt
des Erstverstorbenen vorhandene „Gesamtvermögen“ gelte, hier durchgreifend gegen die
Annahme streitet, dass die Testierenden eine Aufspaltung der Vermögensmassen in ein eigenes
Vermögen des Überlebenden und einen den Beschränkungen einer Nacherbschaft unterliegenden
Nachlass des Erstverstorbenen im Sinne der „Trennungslösung“ wollten, sondern –
ganz im Gegenteil – dafür, dass die Ehegatten ihr Vermögen als „einheitliches Ganzes“ behandeln
und nach dem Tode des Letztversterbenden auf ihre Kinder weiterleiten wollten (vgl.
BGH, Urteil vom 22. September 1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277). Denn eine solche
Formulierung deutet maßgeblich darauf hin, dass die Ehegatten von einer Verschmelzung der
Vermögensmassen in der Hand des Überlebenden ausgegangen sind, wie sie für die sog.
„Einheitslösung“ typisch ist, und ihre Abkömmlinge als Schlusserben und nicht als Nacherben
des Erstverstorbenen berufen wollten (vgl. OLG Brandenburg, FGPrax 2023, 75).

bb)
Die im Rahmen der Auslegung zur Aufdeckung des Erblasserwillens heranzuziehenden weiteren
Umstände außerhalb des Testaments, die die Beschwerde angesichts der knappen Begründung
der angefochtenen Entscheidung nicht ausreichend gewürdigt erachtet, geben richtigerweise
ebenfalls keinen Anlass zu der Annahme, die Eheleute könnte entgegen der vorgenannten
Formulierung die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft gewollt haben.

(1)
Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Ehegatten ihre gemeinschaftliche Verfügung
im Kontext des vorangegangenen Erbvertrages aus dem Jahre 1987 getroffen haben, in
dem sie sich unter ausdrücklichem Absehen von einer Regelung für den Fall des Todes des
Längstlebenden wechselseitig zu alleinigen Erben eingesetzt hatten, und zwar unabhängig
davon, ob beim Tode des Erstversterbenden Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind und mit
der Maßgabe, dass der Längstlebende auch im Falle einer Wiederverheiratung zur freien und
unbeschränkten Verfügung über den Nachlass des Erstversterbenden berechtigt bleiben sollte.
Dass den Eheleuten diese früheren Bestimmungen bei Abfassung ihres gemeinschaftlichen
Testaments vor Augen standen und sie diese, wie das Nachlassgericht richtig annimmt,
lediglich „ergänzen und bestätigen“ wollten, folgt schon aus der einleitenden Formulierung
des Testaments („Nach dem Tode des Überlebenden…“), die, ebenso wie die weiteren inhaltlichen
Regelungen, darauf erkennbar Bezug nimmt. Soweit sie sich vor diesem Hintergrund
darauf beschränkten, Anordnungen zum Schicksal ihres „Gesamtvermögens“ nach dem Tode
des Letztversterbenden zu treffen, ohne dessen Befugnisse nach dem ersten Erbfall im Übrigen
einzugrenzen, bringt auch dies ihren Willen zum Ausdruck, keine Trennung ihrer Vermögensmassen
im Rahmen einer Vor- und Nacherbschaft anzuordnen und dem Überlebenden
von ihnen weiterhin die Stellung eines nicht beschränkten Vollerben zu belassen.

(2)
Vergeblich beanstandet die Beschwerde die unzureichende Berücksichtigung weiterer, im Verfahren
vorgetragener Umstände außerhalb der Testamentsurkunde, die für eine abweichende
Auslegung sprechen sollen, im Wesentlichen erneut mit dem Hinweis auf das Anliegen der
Ehegatten, das Erbe für die gemeinsamen Kinder, insbesondere auch für den Fall der Wiederverheiratung
des Überlebenden, zu schützen und zu bewahren. Dass derartige Überlegungen
der Formulierung des gemeinschaftlichen Testaments und insbesondere der darin enthaltenen
Definition des „Nachlasses“ als dem zum Zeitpunkt des Erstverstorbenen vorhandenen Gesamtvermögens
zugrunde lagen, mag sein; doch geben weder das insoweit eingewandte
Schreiben des Beteiligten zu 1) vom 9. März 2023, noch das vor dem Ausgangsgericht auch
unter Zeugenbeweis gestellte weitere Vorbringen zur Sorge der Erblasserin vor einer erneuten
Heirat ihres Ehemannes konkreten Anlass zu der Annahme, die in dem gemeinschaftlichen
Testament getroffenen Regelungen hätten (auch) die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft
zum Ziel gehabt. Das folgt entgegen der Ansicht des Amtsgerichts zwar nicht allein
daraus, dass es für die Auslegung eines Testaments grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Errichtung
ankommt, weil auch spätere Umstände – insbesondere auch Erklärungen, die der
überlebende Ehegatte nach dem Tode des Erstversterbenden abgegeben hat – als Anzeichen
für einen bereits in jenem Zeitpunkt vorhandenen Willen der Testierenden berücksichtigt werden
können (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13; Beschluss
vom 10. Dezember 2014 – IV ZR 31/14, ZEV 2015, 343; BayObLG, FamRZ 1999,
470; OLG München, FamRZ 2008, 725; Staudinger/Otte (2019) Vorbemerkung BGB § 2064,
Rn. 72 ff.). Die schriftliche Einlassung des Beteiligten zu 1) belegt aber nur, dass die Eheleute
zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits die Notwendigkeit sahen, im Falle der erneuten
Heirat des Überlebenden Maßnahmen zur Sicherung des gemeinsamen Nachlasses zugunsten
ihrer Kinder zu treffen; dass das Testament eine solche bereits enthalten sollte, folgt
daraus nicht (zur Möglichkeit sog. „Wiederverheiratungsklauseln“ s. Weidlich, in: Grüneberg,
a.a.O., § 2269 Rn. 16 ff.). Denn ebenso wenig wie auch der weitere, zeitlich überdies nicht
sehr konkrete Vortrag zu einer „schon länger existierenden“ außerehelichen Beziehung des
Beteiligten zu 1), seiner Heirat wenige Monate nach dem Tode der Erblasserin im Jahre 2022
und, darauf gründend, ihrer Sorge um das Schicksal ihres Vermögens lässt dies keine ausreichenden
Rückschlüsse darauf zu, dass die Eheleute bereits zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung
am 22. März 2001 den Willen gehabt haben könnten, ihre gemeinsamen Kinder abweichend
vom Wortlaut nur hinsichtlich ihres eigenen Vermögens mit dem Tode ihres Gatten
zu ihren Nacherben zu berufen, weshalb auch eine Einvernahme der zu diesen weiteren Umständen
benannten Zeugen (Bl. 67 d.A.) nicht geboten war. Auch im Übrigen enthält der dem
Senat unterbreitete Sachverhalt keine Anhaltspunkte für eine solche Auslegung (zu anderen,
für eine Nacherbeneinsetzung sprechenden – hier nicht gegebenen – Indizien Weidlich, in:
Grüneberg, a.a.O., § 2100 Rn. 6, § 2269 Rn. 7) oder Ansatzpunkte für weitergehende Ermittlungen
(§ 26 FamFG), weshalb die zur Erteilung des beantragten Erbscheines maßgeblichen
Tatsachen hier zu Recht vom Nachlassgericht für festgestellt erachtet worden sind und die
dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 3) und zu 4) der Abweisung unterliegen
musste.

3.
Die Kosten des erfolglosen Beschwerdeverfahrens waren gemäß § 84 FamFG den Beteiligten
zu 3) und zu 4) aufzuerlegen. Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2
FamFG), bestehen nicht.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens ist unter Berücksichtigung des von den Beteiligten
zu 3) und zu 4) erstrebten Verfahrensziels (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Dezember
2017 – 5 W 53/17, NJW 2018, 957), die Aufhebung des den Beteiligten zu 1) als nicht durch
ihre Nacherbschaft beschränkten Erben ausweisenden Feststellungsbeschlusses zu erlangen,
gemäß §§ 61, 36, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG mit dem hälftigen Nachlasswert anzusetzen,
der nach Ansicht des Senats hier den Umfang ihrer Beschwer angemessen widerspiegelt
(zur Berücksichtigung eines angemessenen Teilbetrages der Hauptsache in diesen Fällen Fackelmann,
in: Korintenberg, GNotKG 22. Aufl., § 61 Rn. 29; BayObLG, FamRZ 2001, 696 zu
§§ 131, 30 KostO). Der Senat geht im Rahmen des ihm zukommenden Ermessens auf
Grundlage der Angaben in dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) vom 30. März 2023
(Bl. 3 d.A.) von einem bereinigten Nachlasswert von ca. 170.000,- Euro aus.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Saarbrücken

Erscheinungsdatum:

09.01.2024

Aktenzeichen:

5 W 71/23

Rechtsgebiete:

Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 133, 2084, 2100