BGH 29. September 2021
XII ZB 309/21
EGBGB Art. 6, 11

Stellvertretung bei Eheschließung; ordre public; Qualifikation der Eheschließung durch einen Vertreter als Formfrage

EGBGB Art. 6, 11
Stellvertretung bei Eheschließung; ordre public; Qualifikation der Eheschließung durch einen Vertreter als Formfrage

1. Kollisionsrechtlich ist eine Eheschließung durch einen Vertreter nur dann als reine Formfrage zu qualifizieren, wenn es sich um eine Stellvertretung lediglich in der Erklärung handelt, bei der der Vollmachtgeber die Eheschließung sowie den konkreten Ehepartner nach eigenem Willen bestimmt hat. Demgegenüber würde eine Stellvertretung im Willen, die dem Vertreter eine eigene Entscheidungsbefugnis bezüglich der Eheschließung oder der Wahl des Ehepartners einräumt, auch die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung berühren und wäre nach dem für Deutsche geltenden Heimatrecht unzulässig.

2. Die Eheschließung im Ausland im Wege doppelter Stellvertretung verstößt nicht gegen den deutschen ordre public.

BGH, Beschl. v. 29.9.2021 – XII ZB 309/21

Problem
Eine deutsche Staatsangehörige und ein syrischer Staatsangehöriger beantragten beim Standesamt die Beurkundung einer Erklärung zur Bestimmung des Ehenamens nach Eheschließung und legten hierfür eine Heiratsurkunde der Registrierungsbehörde des Mexikanischen Bundesstaats Baja California Sur vor. Es handelt sich um eine sog. Handschuhehe, die in Mexiko in Abwesenheit der Verlobten durch zwei Vertreter geschlossen wurde, denen jeweils eine von einem deutschen Notar beglaubigte „Sondervollmacht“ erteilt wurde.

Das Standesamt wurde auf dessen Zweifelsvorlage hin vom Amtsgericht angewiesen, die beantragte Beurkundung nicht vorzunehmen. Nach Beschwerde der Eheleute wies das Oberlandesgericht das Standesamt an, die Beurkundung doch vorzunehmen. Die hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerden der oberen und unteren Standesamtsaufsicht wurden vom BGH verworfen bzw. zurückgewiesen.

Entscheidung
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob eine Deutsche in Mexiko wirksam durch einen Stellvertreter heiraten kann. Der BGH differenziert danach, ob es sich um eine Stellvertretung in der Erklärung oder um eine Stellvertretung im Willen handelt.

Eine Stellvertretung in der Erklärung sei möglich, wenn die Mittelsperson lediglich die vorgegebene Erklärung überbringe und nicht über die Eheschließung und die zu heiratende Person nach eigenem Willen entscheide. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall gegeben, sodass die Zulässigkeit der Vertretung als Formfrage zu qualifizieren war. Das anwendbare Recht richtet sich somit gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB alternativ nach der lex causae oder dem Ortsrecht. Wird die Erklärung durch einen Vertreter abgegeben, ist gemäß Art. 11 Abs. 3 EGBGB bei Anwendung von Art. 11 Abs. 1 EGBGB der Staat maßgebend, in dem sich der Vertreter befindet. Bei einer Stellvertreterehe ist dies der Ort der Trauungshandlung. Im vorliegenden Fall war demnach auf die Frage der Formgültigkeit der in Los Cabos geschlossenen Ehe das Recht des Mexikanischen Bundesstaats Baja California Sur anwendbar. Dieses ermöglicht eine Eheschließung durch Sonderbevollmächtigte und insb. auch eine doppelte Stellvertretung, sodass die formellen Eheschließungsvoraussetzungen vorlagen.

Weiterhin stellt der BGH fest, dass die Eheschließung nicht gegen den kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB) verstößt, da die Anwendung fremden Rechts im Einzelfall nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der Gesetzgeber die Wirksamkeit von nach fremdem Ortsrecht geschlossenen Ehen bewusst in seinen Willen aufgenommen habe. Zum anderen wollten hier beide Eheleute übereinstimmend die Ehe schließen.

Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich bei einer Stellvertretung im Willen, bei der die Verlobten das „Ob“ der Eheschließung und die Wahl der zu heiratenden Person aus der Hand geben. Der BGH macht deutlich, dass in diesem Fall die Zulässigkeit der Vertretung als materielle Eheschließungsvoraussetzung zu qualifizieren ist und gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB dem Heimatrecht des jeweiligen Verlobten unterliegt. Für deutsche Staatsangehörige sei in diesem Fall aufgrund des zweiseitigen Charakters von § 1311 S. 1 BGB eine Stellvertretung unzulässig, auch wenn der andere Teil der Eheleute vertreten werden könne.

Dies bedeutet, dass wenn die zu heiratende Person feststeht und der Stellvertreter insofern und auch hinsichtlich der Frage der Eheschließung selbst kein Auswahlermessen hat, eine nach dem am Eheschließungsort geltenden Recht zulässige Stellvertretung auch aus deutscher Sicht wirksam ist.

Praxishinweis
Für die Notarinnen und Notare wird sich ein Recht zur Ablehnung der Beurkundung allenfalls dann ergeben, wenn es zusätzliche Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Vollmacht gibt (§ 4 BeurkG). „Handschuhehen“ ermöglichen oftmals Eheschließungen, die anderenfalls aufgrund ausländerrechtlicher und faktischer Reisebeschränkungen nicht oder nur mit großer Verzögerung vorgenommen werden könnten. Insofern sind sie nicht nur in lateinamerikanischen Staaten (Mexiko, Kolumbien), sondern auch in mehreren US-Bundesstaaten, in Europa (Italien, Spanien, Portugal, Polen, Nordmazedonien) sowie in islamisch geprägten Rechtsordnungen (Übersicht bei Ebert, StAZ 2021, 257, 259 ff.) zulässig. Auch in Deutschland war während des Zweiten Weltkriegs eine Ferntrauung möglich (BGH NJW 1959, 717, 720).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

29.09.2021

Aktenzeichen:

XII ZB 309/21

Rechtsgebiete:

Beurkundungsverfahren
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Ausländisches Recht (nach Ländern)

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 190-191
NJW-RR 2022, 293-296

Normen in Titel:

EGBGB Art. 6, 11