Weitergabe der Erbschaft als Nachlassverbindlichkeit
letzte Aktualisierung: 17.01.2020
BFH, Urt. v. 11.7.2019 – II R 4/17
ErbStG § 10 Abs. 5; PfDG EKD § 32 Abs. 3 u. 4
Weitergabe der Erbschaft als Nachlassverbindlichkeit
Ist ein Erbe aus Gründen, die ausschließlich in seiner Person ihre Ursache haben, verpflichtet, das
Erbe an einen Dritten weiterzuleiten, stellt diese Verpflichtung keine vom Erwerb abzugsfähige
Nachlassverbindlichkeit i. S. des
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden,
dass der Kläger Erbe des verstorbenen E geworden und der Erbschaftsteuerbescheid rechtmäßig ist.
1. Der Hauptantrag ist unbegründet.
a) Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger Erbe
nach E geworden ist, da er von E testamentarisch zum Erben eingesetzt worden war. Es hat die ihm obliegende
Sachaufklärungspflicht (
Zeugen vernommen hat.
aa) Die Auslegung von Willenserklärungen wie einem Testament gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen
und bindet den Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h.
jedenfalls möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 06.10.2010 - II R 29/09, BFH/NV 2011, 603,
Rz 38, und vom 10.08.2016 - XI R 41/14,
prüft, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für
die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat (vgl. BFH-Urteil
vom 17.05.2017 - II R 35/15,
bb) Die Bindung an die vom FG getroffenen Feststellungen entfällt nach § 118 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO, wenn in Bezug
auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht wurden. Eine solche ist die
Verletzung der Sachaufklärungspflicht (vgl. BFH-Urteil vom 11.04.2012 - I R 11/11,
Rz 26).
Das FG hat den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Die Sachaufklärungspflicht nach
erfordert, dass das FG Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des
Einzelfalls hätten aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in
Rz 30, m.w.N.). Indes wird der Amtsermittlungsgrundsatz durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76
Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Die Sachaufklärungsrüge dient daher nicht dazu, Beweisanträge oder Fragen zu
ersetzen, welche eine fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, zu stellen aber
unterlassen hat (BFH-Beschluss vom 22.01.2013 - V B 85/12, Rz 6 f., m.w.N.).
Im Übrigen übt einen Rügeverzicht aus, der die Berufung auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht ausschließt,
wer als fachkundig Vertretener keinen Beweisantrag auf Zeugenvernehmung stellt und die Unterlassung einer nach
seiner Auffassung gebotenen Beweiserhebung von Amts wegen nicht in der mündlichen Verhandlung rügt (vgl. z.B.
BFH-Beschlüsse vom 06.12.2010 - XI B 27/10, BFH/NV 2011, 645, Rz 8, m.w.N., und vom 21.05.2014 - I B 97/13,
BFH/NV 2014, 1555, Rz 3).
cc) Nach diesen Maßstäben ist der Senat an die Würdigung des FG, E habe den Kläger als Erben eingesetzt,
gebunden. Denn sie entspricht den Grundsätzen der
Erfahrungssätze. Für sie sprechen --wie das FG im Einzelnen ausgeführt hat-- vor allem der eindeutige Wortlaut der
Urkunde und die Beurkundung durch einen Notar. Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die einzigen
Hinweise, dass die Kirchengemeinde X habe Erbin werden sollen, in den Behauptungen des Klägers bestehen.
dd) Ein Verstoß gegen
ersichtlich, warum das FG von sich aus den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen, obwohl der fachkundig
vertretene Kläger keinen Beweisantrag gestellt hat.
Zudem hat der Kläger das Rügerecht hinsichtlich eines etwaigen Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht durch
das Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren. Das FG hatte zur mündlichen Verhandlung keinen Zeugen
geladen. Für den Kläger war deshalb erkennbar, dass das FG keine Zeugeneinvernahme beabsichtigte. Er hat
ausweislich der Schriftsätze und des Protokolls der mündlichen Verhandlung im gesamten finanzgerichtlichen
Verfahren eine solche auch nicht beantragt. Vielmehr hat er, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, weder eine
unterlassene Beweiserhebung gerügt noch einen Beweisantrag gestellt, sondern zur Sache verhandelt und
Sachanträge gestellt. Für einen fachkundig vertretenen Beteiligten --wie im Streitfall den Kläger-- musste daher ohne
weiteres erkennbar sein, dass das FG die Anhörung eines Zeugen nicht für erforderlich hielt. Auch fehlt es am Vortrag
des Klägers, aus welchen entschuldbaren Gründen er an einer entsprechenden Rüge vor dem FG gehindert gewesen
ist (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 22.01.2013 - V B 85/12, Rz 6 bis 8, m.w.N., und vom 04.12.2013 - X B 120/13,
BFH/NV 2014, 546, Rz 10, m.w.N.).
b) Der Kläger ist auch nicht durch die Übertragung der Erbschaft auf die Kirchengemeinde X von der
Erbschaftsteuerpflicht frei geworden.
Ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, durch das eine andere Person, die nicht unmittelbar mit dem Erbanfall von Todes
wegen eine Vermögensposition erwirbt, an die Stelle des Erben rückt, hat grundsätzlich keine Auswirkung auf die kraft
Gesetzes eintretende Steuerpflicht. Der Erbe, der seine Erbschaft veräußert oder verschenkt, wird durch die
rechtsgeschäftliche Übertragung seines Erwerbs von Todes wegen nicht von der Erbschaftsteuerpflicht frei. Er bleibt
weiterhin Schuldner der Erbschaftsteuer (s. auch Frank Hils in Tiedtke, ErbStG § 3, Rz 5).
2. Der Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Festsetzung der Erbschaftsteuer auf 0 EUR begehrt, ist ebenfalls
unbegründet. Das FA hat der Berechnung der Erbschaftsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die zutreffende
Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt. Die Besteuerung richtet sich nach der Bereicherung, zu der der Erbanfall
nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unter Berücksichtigung des
zur Weiterleitung des Nachlasses an die Kirchengemeinde X keine nach
Verbindlichkeit dar.
a) Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1
ErbStG).
Gemäß § 1922 i.V.m.
Gesamtrechtsnachfolge als Ganzes auf den Erben über. Der Erbe tritt kraft Gesetzes unmittelbar und von selbst
umfassend in die Rechtsposition des Erblassers ein (BFH-Urteile vom 16.02.2011 - X R 46/09,
BStBl II 2011, 685, Rz 16, m.w.N., und vom 07.12.2016 - II R 21/14,
Maßgebend für die erbschaftsteuerrechtliche Bestimmung, welche Rechtspositionen am Stichtag dem Erblasser
zuzuordnen sind und auf den Erben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergehen, ist das Zivilrecht. Das ErbStG
regelt zwar die Bewertung des Nachlasses, legt seinen Umfang jedoch nicht fest (BFH-Urteil in
II 2018, 196, Rz 10; BFH-Beschluss vom 23.01.1991 - II B 46/90,
Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG, Rz 3).
b) Von diesem Erwerb sind als Nachlassverbindlichkeiten die in
Lasten abzuziehen, soweit sich nicht aus den Absätzen 6 bis 9 etwas anderes ergibt.
aa) Die vom Erblasser herrührenden Schulden sind nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG als Nachlassverbindlichkeiten
abzugsfähig; das sind die aus Rechtsgründen bestehenden Erblasserschulden. Darunter fallen alle vertraglichen,
außervertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen, die in der Person des Erblassers begründet worden und mit
seinem Tod nicht erloschen sind bzw. kraft § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen gelten (BFH-Urteil vom 09.11.1994 -
II R 111/91, BFH/NV 1995, 598, unter II.3.a, m.w.N.). Öffentlich-rechtliche Pflichten, z.B. zur Beseitigung von Mängeln
an geerbten Gebäuden, stellen nur dann Erblasserschulden dar, wenn bereits eine entsprechende rechtsverbindliche,
behördliche Anordnung gegen den Erblasser erlassen worden war (BFH-Urteil vom 26.07.2017 - II R 33/15, BFHE
259, 119, BStBl II 2018, 203, Rz 11).
bb) Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG sind ferner Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen, Auflagen und geltend
gemachten Pflichtteilen und Erbersatzansprüchen vom Erwerb als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig.
Eine Auflage i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG, auf deren Vorliegen sich der Kläger beruft, ist gegeben, wenn der
Erblasser den Erben oder einen Vermächtnisnehmer durch Testament zu einer Leistung verpflichtet, ohne einem
anderen ein Recht auf diese Leistung zuzuwenden (
§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG aufgezählten Verbindlichkeiten handelt es sich um Lasten, die den Erben als solchen treffen,
um sog. Erbfallschulden gemäß
BStBl II 2016, 482, Rz 10; ferner Högl in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht,
15. Aufl., § 1967 Rz 6). Sie haben ihren Rechtsgrund entweder im Willen des Erblassers oder unmittelbar im Gesetz
(Erman/Horn, BGB, 15. Aufl., § 1967 Rz 1). Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich auf den Erblasser und die Erbschaft
selbst rückbeziehen lassen, und nicht ausschließlich der besonderen Situation des Erben entspringen.
Dieses Ergebnis entspricht dem in § 10 Abs. 1 und Abs. 5 ErbStG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der
Besteuerung nur im Umfang der Bereicherung des Erben (objektives Nettoprinzip). Verbindlichkeiten, die seine
Bereicherung mindern, kann der Erbe danach bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer als
mit dem Erwerb in Verbindung stehenden entreichernden Posten zum Abzug bringen. Die Erbschaftsteuer wird
erhoben, weil und soweit der aus dem steuerpflichtigen Vorgang stammende Vermögensanfall dem Erwerber einen
Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit vermittelt. Lasten, die zwar mit dem Erbfall zusammenhängen, jedoch
nicht aus der Sphäre des Erblassers im weiteren Sinne stammen, sondern ausschließlich in der Person des Erben ihre
Ursache haben, stehen nicht in diesem Sinne mit dem Erwerb in Verbindung. Ihre Berücksichtigung ist im ErbStG
nicht vorgesehen. Das in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG verankerte Bereicherungsprinzip (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom
01.07.2008 - II R 38/07,
des Erben bei der Ermittlung der Höhe der Nettobereicherung einzubeziehen.
cc) Nach
unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung
des Erwerbs entstehen, abzugsfähig.
Ein Abzug von Erwerbskosten als Nachlassverbindlichkeiten setzt einen unmittelbaren Zusammenhang mit der
Erlangung des Erwerbs voraus. Ein solcher liegt vor, wenn die Kosten --i.S. einer synallagmatischen Verknüpfung--
dafür aufgewendet werden, dass der Erwerber seine Rechtsstellung erlangt. Ausreichend ist dabei ein Entstehen der
Kosten nach dem Erbfall, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Erlangung oder Sicherung der
Erbenstellung vorliegt (BFH-Urteil vom 15.06.2016 - II R 24/15,
c) Nach diesen Maßstäben kann die Weiterleitung des Erbes an die Kirchengemeinde X nicht als
Nachlassverbindlichkeit von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Das FG ist zu Recht zu dem Ergebnis
gelangt, dass die Weiterleitungsverpflichtung, die der Dienstherr des Klägers ausgesprochen hat, nicht zu einem
Abzug nach
aa) § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG ist nicht einschlägig. Die Verpflichtung, das Erbe an die Kirchengemeinde X
weiterzuleiten, ist keine Schuld, die den Erblasser traf. Auch handelt es sich nicht um eine einer sittlichen
Verpflichtung des Erblassers entsprechende Last i.S. des vom Kläger zitierten BFH-Urteils vom 18.11.1963 - II 166/61
(Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 83). Die vom Kläger aufgeworfene, aber erst im zweiten Schritt zu
beantwortende Frage, ob eine wirtschaftliche Belastung des Erben durch die Weiterleitungsverpflichtung vorliegt,
welche die Bereicherung i.S. des Nettoprinzips schmälert, stellt sich daher nicht.
bb) Auch der Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG ist nicht erfüllt.
Im Streitfall ist die Belastung, die den Kläger traf, keine der in § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG aufgeführten Lasten. Es liegt
--anders als der Kläger meint-- keine Auflage, auch keine einer Auflage entsprechende Verpflichtung, vor. Denn die
Weiterleitungspflicht hat ihre Ursache nicht in der Person des Erblassers. Sie hängt auch nicht mit dem vererbten
Vermögen zusammen, sondern ist ausschließlich in der Person des Erben, nämlich seinem Dienstverhältnis,
begründet. Folglich fehlt es bei der den Kläger in der Weiterleitungsverpflichtung treffenden Verbindlichkeit an einem
Rückbezug auf den Erblasser. Die Verpflichtung entspringt ausschließlich der klägerischen Sphäre.
Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen das Nettoprinzip. Denn die Bereicherung, nämlich die Vermögenssituation, die
der Erblasser hinterlassen hat, ist beim Kläger eingetreten.
cc) Ferner greift auch § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG nicht ein. Das Erbe wurde durch den Kläger an die
Kirchengemeinde X weitergeleitet, um seine Verpflichtung aus dem Dienstverhältnis zu erfüllen, nicht um eine
Erbenstellung zu erlangen oder zu sichern. Der Kläger wurde unabhängig von diesem Vorgang Alleinerbe. Die
Belastung aus der Weiterleitungsverpflichtung mindert daher nicht die Bereicherung.
dd) Da bereits der Abzugstatbestand des
§ 32 Abs. 3 PfDG EKD selbst überhaupt eine Weiterleitungsverpflichtung mit der Folge ergibt, dass diese
Verpflichtung bereits im Zeitpunkt des Erbanfalls auf den Kläger feststand. Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 PfDG EKD kann
der Dienstherr die Annahme von Zuwendungen, zu denen auch erbrechtliche Begünstigungen gehören, genehmigen.
Aus dem Wortlaut der Norm folgt nicht, dass die Genehmigung der Erbschaftsannahme von der Weiterleitung des
Erben an einen Dritten abhängt. Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 PfDG EKD handelt es sich vielmehr um eine
Ermessensentscheidung des Dienstherrn.
Ebenso kann dahinstehen, welche Pflichten den Kläger im Falle einer nicht erteilten Genehmigung getroffen hätten.
3. Für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG besteht aus den vorgenannten Gründen kein Anlass.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO. Die Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
beruht auf § 121 FGO i.V.m.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:11.07.2019
Aktenzeichen:II R 4/17
Rechtsgebiete:
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Erbenhaftung
Vermächtnis, Auflage
ZEV 2020, 116-118
Normen in Titel:ErbStG § 10 Abs. 5; PfDG EKD § 32 Abs. 3 u. 4