OLG Bremen 07. September 2023
5 UF 13/23
GG Art. 6 Abs. 2; BGB § 1671 Abs. 1; FamFG § 159

Gerichtliche Sorgerechtsübertragung bei vorhandener Sorgerechtsvollmacht

letzte Aktualisierung: 30.11.2023
OLG Bremen, Beschl. v. 7.9.2023 – 5 UF 13/23

GG Art. 6 Abs. 2; BGB § 1671 Abs. 1; FamFG § 159
Gerichtliche Sorgerechtsübertragung bei vorhandener Sorgerechtsvollmacht

1. Dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der Alleinsorge für das gemeinsame Kind ist mit
Rücksicht auf den auch bei der Aufhebung der gemeinsamen Sorge zu beachtenden
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trotz Fehlens des für eine gemeinsame Ausübung der elterlichen
Sorge erforderlichen Mindestmaßes an Bereitschaft und Fähigkeit der Kindeseltern, miteinander zu
kommunizieren und zu kooperieren, im Einzelfall der Erfolg zu versagen, wenn der andere
Elternteil ihn umfassend zur alleinigen Vertretung des Kindes in allen persönlichen und
vermögensrechtlichen Angelegenheiten bevollmächtigt, die erteilte Vollmacht – als gegenüber der
Sorgerechtsübertragung milderes Mittel – nach den konkreten Umständen als ausreichend
verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange durch den bevollmächtigten Elternteil
anzusehen und von einer hinreichenden Restkooperation zwischen den Kindeseltern auszugehen ist.
2. Die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Auflösung des gemeinsamen
Sorgerechts trotz Vollmachterteilung durch den anderen Elternteil trifft den die Alleinsorge
beantragenden Elternteil.
3. Die aktuelle Einschätzung eines Sachverständigen, wonach mit der Durchführung der Kindesanhörung
das Risiko einer Kindeswohlgefährdung verbunden wäre, stellt einen das Absehen von der
Kindesanhörung ausnahmsweise rechtfertigenden schwerwiegenden Grund i. S. des § 159 Abs. 2
S. 1 Nr. 1 FamFG dar.

Gründe:

I.
Die Kindeseltern streiten über das Sorgerecht für ihre Tochter (nachfolgend: X).
Der Kindesvater, , und die Kindesmutter, , haben am 2011 die Ehe miteinander
geschlossen, aus der am 2015 X hervorgegangen ist.

Nach ihrer Darstellung vollzog die Kindesmutter bereits 2016 eine emotionale Trennung
vom Kindesvater, setzte jedoch aufgrund dessen einschüchternden Verhaltens
ihren Trennungswunsch seinerzeit nicht über die Nutzung getrennter Schlafzimmer
hinausgehend um. Einen im Mai 2019 eingereichten Scheidungsantrag nahm die Kindesmutter
wenige Monate später wieder zurück. Im Oktober 2020 zog sie mit X in
eine andere Wohnung und stellte gleichzeitig beim Familiengericht (Gesch.-Nr.: 69 F
3150/20) den Antrag, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter im Wege
einstweiliger Anordnung zu übertragen. In jenem Verfahren wurden im Termin vom
30.10.2020 unter anderem die Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem
Hauptsacheverfahren sowie eine einem paritätischen
Betreuung Xs durch beide Elternteile für die Dauer des Hauptsacheverfahrens vereinbart.
Zu dem in Aussicht genommenen Hauptsacheverfahren kam es indes nachfolgend
nicht mehr, weil die Kindesmutter dem Familiengericht unter dem 11.12.2020
mitteilte, dass die Kindeseltern mit X wieder im gemeinsamen Haushalt lebten, sodass
ein Hauptsacheverfahren nicht mehr erforderlich sei.
Am 16.07.2021 beantragte die Kindesmutter sodann bei Familiengericht, ihr im Wege
einstweiliger Anordnung zum einen die Ehewohnung zuzuweisen (Gesch.-Nr.: 69 F
2299/21) und zum andern die elterliche Sorge für X zu übertragen (Gesch.-Nr.: 69 F
2300/21). Gleichzeitig tauschte sie die Schlösser der Ehewohnung einer Doppelhaushälfte,
deren andere Hälfte von ihren Eltern bewohnt wird aus und machte dem
Kindesvater dadurch den weiteren Zutritt unmöglich. Mit Beschluss vom 8.8.2021
übertrug das Familiengericht der Kindesmutter im Wege einstweiliger Anordnung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für X. Mit Beschluss vom 9.8.2021 überließ es der Kindesmutter
im Wege einstweiliger Anordnung die eheliche Wohnung für die Dauer des
Getrenntlebens der Kindeseltern zur alleinigen Nutzung und untersagte dem Kindesvater
das Betreten der Immobilie.

Das Trennungsgeschehen und die jeweiligen Beiträge der sich wechselseitig massives
Fehlverhalten vorwerfenden Kindeseltern dazu werden von diesen überwiegend
höchst divergent dargestellt.

Seit Juni 2021 findet zwischen X und dem Kindesvater kein Kontakt mehr statt; X
lehnt diesen ab.

In dem vorliegenden (Hauptsache-)Verfahren, das der Kindesvater am 26.8.2021 eingeleitet
hat, hat das Familiengericht, nachdem die Kindeseltern zuletzt wechselseitig
jeweils die Übertragung der elterlichen Sorge für X auf sich allein beantragt hatten,
nach Einholung eines schriftlichen psychologischen Gutachtens der Sachverständigen
S vom 28.6.2022 mit Beschluss vom 23.12.2022, auf den wegen der Einzelheiten
Bezug genommen wird, unter Zurückweisung des Antrags des Kindesvaters der Kindesmutter
die elterliche Sorge für X, die es in diesem Verfahren mit Verweis auf ein
von der Sachverständigen festgestelltes Risiko einer Kindeswohlgefährdung anders
als zuvor am 4.8.2021 im Verfahren zur Gesch.-Nr. 69 F 2300/21 nicht persönlich
angehört hat, übertragen.

Gegen diese Entscheidung, die ihm am 30.12.2022 zugestellt worden ist, wendet sich
der Kindesvater mit seiner am 26.1.2023 beim Familiengericht eingelegten Beschwerde,
mit der er zunächst beantragt hat, ihm in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung
die elterliche Sorge für X zu übertragen und über die Sache nach persönlicher
Anhörung des Kindes zu entscheiden. Zur Begründung seines Rechtsmittels hat
er unter Heranziehung einer von Prof. Dr. Z unter dem 27.2.2023 für ihn erstellten
eingeholten Sachverständigengutachtens gerügt, insbesondere beanstandet, dass die
Sachverständige keinen Vater-Kind-Kontakt beobachtet habe, und darüber hinaus im
Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Nach Vereinbarung des Wechselmodells
im Oktober 2020 habe X keine Scheu vor ihm gezeigt, sondern die Zeit mit ihm genossen.
Ihre Beziehung zu ihm sei problemlos und liebevoll gewesen. Seit dem Austausch
der Schlösser zur Ehewohnung verweigere die Kindesmutter einseitig jede
direkte Kommunikation mit ihm und sei nicht bereit, an einer Verbesserung zu arbeiten,
an der er interessiert sei. Über die Schulwahl sei eine Verständigung der Kindeseltern
per E-Mail möglich gewesen. Auch ansonsten sei die schriftliche Kommunikation
zwischen ihnen sachlich und lösungsorientiert. Es sei ihnen also möglich, gemeinsame
Entscheidungen für X zu treffen. Gegebenenfalls könne dazu professionelle
Begleitung herangezogen werden. Einer Allleinsorge der Kindesmutter bedürfe es
jedenfalls nicht. Allenfalls käme eine Übertragung lediglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts
auf die Kindesmutter in Betracht. Zudem wäre eine Vollmachtlösung als
milderes Mittel in Betracht zu ziehen. Keinesfalls sei er bereit, sich dauerhaft völlig
aus dem Erleben des Kindes zu verabschieden, wie es augenscheinlich das Ziel der
Kindesmutter sei. Die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf die Kindesmutter
in Verbindung mit dem Ausschluss seines Umgangs mit X führe dazu, dass die
Kindesmutter keine Motivation habe, ihr Verhalten zu ändern. Sie werde ihn daher
den Kontakt der Tochter zu
ihm zu fördern. Der Verlust des Vaters werde für Xs Entwicklung langfristig gravierende
Folgen haben und entspreche nicht dem Kindeswohl. Im Übrigen hätte das Familiengericht
auf eine Anhörung des Kindes im vorliegenden Verfahren nicht verzichten
dürfen. Es sei fraglich, ob ein autonomer Kindeswille vorliege.
Die Kindesmutter hat mit Schriftsatz vom 15.3.2023 die erstinstanzliche Entscheidung
verteidigt, die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und insbesondere geltend
gemacht, dass Grundlage für eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den
Kindeseltern zunächst wäre, dass der Kindesvater das eigene Verhalten reflektieren,
eigene Anteile an der Situation erkennen und sein künftiges Verhalten am Kindeswohl
und an einer respektvollen Elternschaft ausrichten müsste, wozu er aber nicht in der
Lage sei. Vielmehr nehme er nach den Feststellungen der Sachverständigen die
emotional von ihr zu lö
geführt habe. Dadurch sei X aus seinem Fokus geraten. Es seien nicht die vermeintlichen
Verhaltensweisen der Kindesmutter, sondern das eigene Erleben Xs mit dem
Kindesvater, das zu dessen Ablehnung durch die Tochter geführt habe.

Der Verfahrensbeistand hat sich in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29.3.2023
zunächst dafür ausgesprochen, die Beschwerde des Kindesvaters zurückzuweisen.
Die Kindeseltern seien in so erheblichem Maße zerstritten, dass die für die Ausübung
der gemeinsamen elterlichen Sorge notwendige Kommunikationsbasis nicht gegeben
sei. Für X sei es letztendlich wichtig, dass möglichst weitere Konflikte zwischen den
Kindeseltern vermieden werden. Diese gebe es seit nunmehr über zwei Jahren in
ganz erheblichem Umfang. Versuche, Gespräche zu führen, seien letztendlich gescheitert.
Die Auswirkungen der bestehenden Schwierigkeiten auf X seien ganz erheblich
gewesen. Dies gelte es in Zukunft zu vermeiden. Für Xs Entwicklung sei es
wichtig, dass sie sich, unabhängig von dem Streit der Kindeseltern, auf ihre eigenen
Entwicklungsaufgaben und ihre Bedürfnisse konzentrieren dürfe. Dies wäre aufgrund
der zwischen den Eltern bestehenden Kommunikationsschwierigkeiten nicht gegeben,
wenn es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbliebe. Eine Verbesserung des
Verhältnisses der Kindeseltern und damit auch ihrer Kommunikationsebene wäre
zwar wünschenswert. Dies sei auch mit Unterstützung versucht worden, jedoch erfolglos
geblieben. Vor diesem Hintergrund sei die erstinstanzliche Entscheidung zutreffend
und aufrechtzuerhalten.

Der Senat hat die Sache mit den Beteiligten am 15.6.2023 erörtert. Der Termin diente
zugleich der Erörterung im zur Geschäftsnummer 5 UF 14/23 des Senats (= 69 F
15/22 AG Bremen) geführten Umgangsverfahren, das die Beschwerde des Kindesvaters
gegen den weiteren Beschluss des Familiengerichts vom 23.12.2022 betraf,
mit dem dieses das Umgangsrecht des Kindesvaters mit X für die Dauer von zehn
Monaten ausgeschlossen hat, und welches mit der vom Kindesvater im Termin erklärten
Beschwerderücknahme abgeschlossen worden ist. Zum vorliegenden Sorgerechtsverfahren
äußerte die Kindesmutter unter anderem, dass sie aktuell keine Möglichkeit
sehe, mit dem Kindesvater gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Der Kindesvater
gab an, eine gleichberechtigte Elternschaft anzustreben und vor allem nicht
die gesamte elterliche Sorge verlieren zu wollen. Zu dem Hinweis der Kindesmutter
auf eine im Herbst 2023 bei X anstehende kieferorthopädische Behandlung bemerkte
er, dass er gegen diese Behandlung und deren Veranlassung durch die Kindesmutter
keine Bedenken habe. Der Verfahrensbeistand bezeichnete im Rahmen seiner Stelverbunden
mit der
Anmerkung, dass die von X benötigte Ruhesituation am klarsten gegeben wäre, wenn
es nur einen Entscheidungsträger gäbe, der den anderen Elternteil umfassend inforSeite
mierte. Im weiteren Verlauf erklärte die Verfahrensbevollmächtigte des Kindesvaters
Der Kindesvater erteilt hiermit der Kindesmutter die Vollmacht,
sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge für das Kind umfassend allein auszuüben.
Zudem stellte der Kindesvater klar, dass anders als im Beschwerdeantrag
formuliert Ziel der Beschwerde im Hinblick auf die Vollmacht die Beibehaltung der
gemeinsamen elterlichen Sorge sei, und dass er den Aufenthalt Xs bei der Kindesmutter
akzeptiere. Die Kindesmutter betonte, dass sie ungeachtet einer Sorgerechtsvollmacht
den Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht befürworte. Sie
halte die Bereitschaft des Kindesvaters, ihr eine Vollmacht zu erteilen, lediglich für ein
taktisches Mittel, um wieder Macht ausüben zu können. Wenn einmal eine beiderseitige
Psychohygiene eine solche war zuvor von der Sachverständigen angeregt
worden erfolgt sein werde, wäre für sie gegebenenfalls wieder ein gemeinsames
Sorgerecht denkbar. Zu berücksichtigen sei bei ihrer Haltung auch, dass der Kindesvater
unter anderem ihren Vater mehrfach bedroht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten
wird ergänzend auf das Sitzungsprotokoll vom 15.6.2023 und den diesem als
Anlage beigefügten Anhörungsvermerk vom 16.6.2023 Bezug genommen.
Im Anschluss an den Erörterungstermin vom 15.6.2023 ist den Beteiligten unter anderem
Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu der Frage gegeben worden, ob
und aus welchen Gründen sie im vorliegenden Fall eine Sorgerechtsvollmacht zur
Abwendung einer Sorgerechtsübertragung (nicht) für geeignet halten.
Der Kindesvater hat mit Schriftsatz vom 30.6.2023 ergänzend zu der zum Protokoll
der Sitzung vom 15.6.2023 abgegebenen Erklärung eine von ihm unterzeichnete, vom
16.6.2023 datierende Sorgerechtsvollmacht zur Akte gereicht (Bl. 625 ff. d. A.), auf
deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Er vertritt die Ansicht,
dass die Kindesmutter mit dieser Vollmacht in der Lage sei, die Interessen des Kindes
umfassend alleine zu vertreten, so dass ihm die elterliche Sorge nicht entzogen werden
dürfe, zumal er den gewöhnlichen Aufenthalt Xs im mütterlichen Haushalt nicht in
Frage stelle und akzeptiert habe, dass er aktuell keinen Umgang mit X hat.

Die Kindesmutter meint, die protokollierte Vollmachterteilung rechtfertige keine Abänderung
der erstinstanzlichen Entscheidung. Mit Schriftsatz vom 10.7.2023 beanstandet
sie unter anderem, dass ihr nicht die Originalvollmacht, sondern nur eine Kopie
vorliege, die im Rechtsverkehr keine Akzeptanz finden werde, und dass die VollSeite
macht aus von ihr näher genannten Gründen inhaltlich unzureichend sei. Außerdem
sei nicht zu erwarten, dass der Kindesvater hinreichend verlässlich in der Lage sein
werde, seine Mitwirkungshandlungen zu erbringen, die unter Umständen auch im Falle
einer bestehenden Vollmacht notwendig werden können, z. B. wenn Dritte die
Vollmacht nicht akzeptierten. Für diese Annahme spreche, dass der Kindesvater trotz
bestehenden Umgangsausschlusses X am 3.7.2023 eine Einladungskarte zu einer
Gartenparty habe zukommen lassen. Dies belege, dass der Kindesvater sich nicht an
gerichtliche Beschlüsse oder Absprachen halte und auch nicht in der Lage sei, sein
Verhalten an sachverständigen Feststellungen auszurichten.
Der Verfahrensbeistand hat unter dem 5.7.2023 vor allem die Wichtigkeit betont, dass
X betreffende Entscheidungen nicht durch die zwischen den Eltern bestehenden Streieiner
Vollmacht getroffene Entscheidungen vom
Vater revidiert werden, weil sich dies sonst unmittelbar auf X auswirken würde. Unter
dem 19.7.2023 hat der Verfahrensbeistand mit Rücksicht auf die von der Kindesmutter
angeführte Einladungskarte Zweifel daran geäußert, ob es dem Kindesvater gelingen
werde, sich an Absprachen im Rahmen einer Sorgerechtsvollmacht zu halten.
Der Kindesvater hat mit Schriftsatz vom 21.7.2023 erklärt, ein Original der Vollmacht
per Einschreiben direkt an die Kindesmutter diese hat unter dem 8.8.2023 indes
icht um das Original, sondern scheinbar um
übermittelt zu haben und dies mit Schriftsatz vom 18.8.2023 nochmals
bestätigt. Er vertritt die Auffassung, die darin enthaltene Beschränkung im Innenverhältnis
stehe der Wirksamkeit der Vollmacht im Außenverhältnis nicht entgegen. Sollte
er die Vollmacht widerrufen oder sich nicht kooperativ verhalten, werde er keine Möglichkeit
mehr haben, die Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter zu verhindern.
Er beabsichtige auch nicht, den Umgang mit X zeitnah wieder zu beantragen,
sondern werde seinen Umgangswunsch von Xs Entwicklung und ihrer Bereitschaft
zum Umgang abhängig machen. Er habe X am 3.7.2023 eine Einladungskarte zum
Sommerfest geschrieben, und zwar mit der Bitte an die Kindesmutter, diese in Xs
"Kiste" zu legen. Hierbei handele es sich um ein früher mit Frau [ ] vom Jugendamt
und der Kindesmutter besprochenes Prozedere, nach dem er X schreiben kann, diese
Briefe aber X nicht ausgehändigt, sondern für einen späteren Zeitpunkt aufbewahrt
werden. Es sei ihm wichtig, für X dokumentieren zu können, dass er sie in der langen
Zeit der Abwesenheit sehr vermisst hat. Er werde zukünftig seine Briefe an X in seinem
eigenen Haushalt aufbewahren.

Das Jugendamt sieht ausweislich seiner Stellungnahme vom 6.7.2023 keine Anhaltspunkte
dafür, dass das gemeinsame Ausüben der elterlichen Sorge beider Elternteile
für X eine Gefährdung darstellt und die Entscheidungen nicht zum Wohle des Kindes
getroffen werden. Durch das Ausstellen einer vollumfänglichen Sorgerechtsvollmacht
des Kindesvaters an die Kindesmutter könne diese Entscheidungen für X allein treffen.
Der Kindesvater habe jedoch ein umfängliches Informationsrecht. Im Fall der gemeinsamen
elterlichen Sorge sei der Kindesvater befugt, von Beteiligten aus dem
System der für X installierten Hilfen Informationen zu erhalten, ohne in einen direkten,
persönlichen Kontakt mit der Kindesmutter treten zu müssen. Dies könnte aufgrund
der Hochstrittigkeit von Vorteil sein und Konflikte durch direkte Konfrontationen zwischen
den Kindeseltern vermeiden. Beide Eltern hätten sich gegenüber dem Jugendamt
bereit erklärt, an Terminen im Rahmen einer Trennungs- und Scheidungsberatung
teilzunehmen, die voraussichtlich Mitte August 2023 beginnen werde. Durch die
Begleitung von zwei Fachkräften könne es den Eltern in einem sicheren Rahmen gelingen,
Informationen auszutauschen und Entscheidungen für X abzustimmen. Auch
wenn es derzeit keinen Kontakt zwischen X und dem Kindesvater gebe, sei es wichtig,
diesen mit einzubeziehen. Es werde davon ausgegangen, dass beide Elternteile
trotz der Konflikte im Sinne des Kindes handeln und entscheiden können und zum
Wohle des Kindes beitragen. Die vollumfängliche Vollmacht biete der Kindesmutter
alleinige Entscheidungsfreiheit und könne aus Sicht des Jugendamts zur Abwendung
einer Sorgerechtsübertragung geeignet sein.

Die Sachverständige hat auf die im Erörterungstermin vom 15.6.2023 vom Senat an
sie gerichtete Bitte, nochmals Kontakt zu X aufzunehmen und sodann mitzuteilen, ob
deren Anhörung durch den Senat mit dem Kindeswohl vereinbar ist, mit Schreiben
vom 20.6.2023, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, die
Einschätzung abgegeben, dass mit Blick auf das Risiko einer Kindeswohlgefährdung
auf eine gerichtliche Anhörung Xs verzichtet werden sollte. Der Verfahrensbeistand
hat sich dieser Einschätzung in seiner Stellungnahme vom 26.6.2023 angeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den
gesamten Akteninhalt sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akten des FamiliengeSeite
richts zu Gesch.-Nrn. 69 F 1747/19, 69 F 3150/20, 69 F 2299/21, 69 F 2300/21, 69 F
2448/21 und 69 F 15/22 Bezug genommen.

II.
Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde
des Kindesvaters ist begründet und führt mit der Folge, dass es bei der gemeinsamen
elterlichen Sorge der Kindeseltern verbleibt , zu der aus dem Tenor dieses Beschlusses
ersichtlichen Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die erstinstanzliche Entscheidung ist zwar rechtsfehlerfrei ergangen und vom Familiengericht
ausgesprochen gut begründet worden. Zum Zeitpunkt ihres Erlasses lagen
die Voraussetzungen für eine Übertragung der elterlichen Sorge für X auf die Kindesmutter
nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch aus Sicht des Senats vor. Das Familiengericht
ist, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die von der Sachverständigen getroffenen
Feststellungen an deren Richtigkeit, ohne dass dies hier einer weiteren Vertiefung
bedarf, das vom Kindesvater vorgelegten Privatgutachten nach Auffassung des Senats
keine relevanten Zweifel aufzuwerfen geeignet ist , zutreffend davon ausgegangen,
dass es den Kindeseltern derzeit an dem für eine gemeinsame Sorgerechtsausübung
notwendigen Mindestmaß an Fähigkeit und Bereitschaft fehlt, miteinander kindeswohlverträglich
zu kommunizieren und zu kooperieren. Darüber hinaus waren die
Kindeseltern damals uneins über den Lebensmittelpunkt ihrer Tochter. Während der
Kindesvater das Wechselmodell anstrebte, favorisierte die Kindesmutter das Residenzmodell
mit festem Lebensmittelpunkt Xs in ihrem Haushalt. Schließlich lehnten
beide Elternteile im Termin des Familiengerichts vom 7.10.2022 eine vom Verfahrensbeistand
vorgeschlagene Vollmachtlösung ab. Unter diesen Umständen kam seinerzeit
allein die Übertragung der elterlichen Sorge auf die das gegenwärtig jeglichen
Kontakt zum Kindesvater ablehnende Kind seit der räumlichen Trennung der
Kindeseltern allein betreuende Kindesmutter in Betracht.

Allerdings kann an dieser Entscheidung aufgrund der zwischenzeitlich im Verlauf des
Beschwerdeverfahrens eingetretenen Entwicklungen nicht festgehalten werden.
Nachdem der nunmehr die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts anstrebende
Kindesvater ausdrücklich klargestellt hat, den Lebensmittelpunkt Xs im Haushalt
der Kindesmutter nicht mehr in Frage zu stellen, ferner den vom Familiengericht ausgesprochenen
befristeten Umgangsausschluss durch Rücknahme seiner Beschwerde
im Verfahren 5 UF 14/23 (= 69 F 15/22 AG Bremen) akzeptiert und schließlich der
Kindesmutter eine umfangreiche Sorgerechtsvollmacht erteilt hat, lässt sich eine
vollständige oder teilweise Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht (mehr) rechtfertigen. Vielmehr ist der Alleinsorgeantrag
der Kindesmutter zurückzuweisen und hat es bei der gemeinsamen
elterlichen Sorge der Kindeseltern insgesamt zu verbleiben.

Da mit der Aufhebung der gemeinsamen Sorge und der Übertragung der Alleinsorge
auf den antragstellenden Elternteil gemäß § 1671 BGB zwangsläufig ein Eingriff in
das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des anderen Elternteils verbunden
ist, unterliegt auch die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit, sodass sie nur in Betracht kommt, wenn dem Kindeswohl
nicht durch mildere Mittel als die Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann
(vgl. BVerfG FamRZ 2019, 802). Als ein milderes Mittel, das die Sorgerechtsübertragung
entbehrlich machen kann, kommt nach der Rechtsprechung des BGH die Bevollmächtigung
eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen in Betracht,
wenn und soweit sie jenem eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung
der Kindesbelange gibt, was allerdings auch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit
und -bereitschaft der Eltern voraussetzt, soweit eine solche unter Berücksichtigung
der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten
Elternteils unerlässlich ist (BGH NJW 2020, 2182, 2184). Dass bei Vorliegen
dieser Voraussetzungen eine Übertragung des Sorgerechts unterbleiben muss, folgt
zwingend aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn ein Eingriff in die elterliche
Sorge als Bestandteil des Elternrechts muss stets auf das im Sinne des Kindeswohls
und der beiderseitigen Elternrechte erforderliche Maß begrenzt bleiben. Der
Eingriff ist aber nicht erforderlich, wenn die Handlungsbefugnisse des Elternteils bereits
durch die Vollmacht erweitert sind und dieser dadurch in die Lage versetzt wird,
in den maßgeblichen Kindesbelangen allein tätig zu werden. Infolge der ihm erteilten
Vollmacht ist der Elternteil dann auch ohne Abstimmung mit dem anderen Elternteil
ausreichend handlungsfähig und trägt dementsprechend die Hauptverantwortung für
das Kind. Die Vollmacht ermöglicht so vor allem, dass Konflikte in der Kommunikation
und Kooperation mit dem anderen Elternteil weitgehend vermieden werden können
(BGH NJW 2020, 2182, 2185 unter Hinweis auf Geiger/Kirsch FamRZ 2009, 1879,
1884). Ob die Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange
verlässlich wahrnehmen zu können, ist dabei im jeweiligen Einzelfall zu entSeite
scheiden und bestimmt sich nach den für die Sorgerechtsübertragung
nach § 1671 BGB anerkannten Kriterien, wobei die Erforderlichkeit einer (teilweisen)
Sorgerechtsübertragung stets mit Blick auf die erteilte Vollmacht und die durch sie
erweiterten Handlungsbefugnisse des hauptverantwortlichen Elternteils zu beurteilen
ist (BGH NJW 2020, 2182, 2185).

Im vorliegenden Fall erachtet der Senat die vom Kindesvater der Kindesmutter erteilte
Sorgerechtsvollmacht nach den vorgenannten Grundsätzen als geeignetes, gegenüber
einer Sorgerechtsübertragung milderes Mittel, das die Kindesmutter hinreichend
in die Lage versetzt, die Belange Xs ohne Abstimmung mit dem Kindesvater wahrzunehmen,
sodass Konflikte zwischen den Kindeseltern im Zusammenhang mit für die
gemeinsame Tochter zu treffenden Entscheidungen, durch die X in den elterlichen
Konflikt involviert werden könnte, ausreichend sicher vermieden werden können, wie
es nach den Feststellungen der Sachverständigen unbedingt notwendig ist.
Der Kindesvater hat die Kindesmutter umfassend bevollmächtigt. Bereits durch die
von seiner Verfahrensbevollmächtigten im Termin vom 15.6.2023 zu Protokoll des
Senats abgegebene Erklärung hat er deutlich gemacht, es der Kindesmutter im Wege
der Vollmacht ermöglichen zu wollen, sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge für X
allein ausüben zu können. Mit der von ihm unter dem 16.6.2023 erstellten schriftlichen
Vollmacht, in der er sich nochmals ausdrücklich mit dem Lebensmittelpunkt Xs bei der
Kindesmutter einverstanden erklärt, hat er sodann die Kindesmutter mit sofortiger
Wirkung in Form einer Generalvollmacht zur Vertretung unseres Kindes in allen persönlichen
und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gerichtlich und
außergerichtlich zulässig ist

men bevollmächtigt und dabei lediglich exemplarisch und
offenkundig nicht abschließend einzelne in Betracht kommende
Entscheidungen in persönlichen Angelegenheiten konkret benannt. Der Umfang der
Vollmacht macht die Kindesmutter mithin uneingeschränkt allein handlungsfähig für X.
Soweit die Kindesmutter geltend macht, ihr liege das Original der Vollmachturkunde
nicht vor, sondern nur eine Kopie, steht dies zum einen im Widerspruch zu der Erklärung
des Kindesvaters, er habe die Vollmacht im Original mit Einwurfeinschreiben
vom 22.7.2023 an die Kindesmutter versendet. Zum anderen rechtfertigt es nicht die
Annahme, die Kindesmutter sei durch die ihr erteilte Vollmacht nicht hinreichend
handlungsfähig für X. Dabei ist zu berücksichtigen, dass anders als eine Sorgeerklärung
(§ 1626d BGB) eine Sorgerechtsvollmacht keiner besonderen Form bedarf,
ihre schriftliche Erteilung zwecks Nachweises der Bevollmächtigung jedoch gleichwohl
geboten ist (Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl., § 8
Rn. 304). Selbst wenn der Kindesmutter entgegen den Angaben des Kindesvaters
lediglich eine Kopie der Vollmachturkunde vorliegen sollte, folgt daraus indes nicht
zwingend, dass ihr dadurch Schwierigkeiten bei der Alleinvertretung Xs durch mangelnde
Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr entstehen werden.

Unabhängig davon wäre, wenn tatsächlich künftig einmal solche Schwierigkeiten entstehen
sollten, nach Einschätzung des Senats davon auszugehen, dass der Kindesvater
dann auf Zuruf der Kindesmutter seiner Verpflichtung nachkommen würde, umgehend
etwaige dadurch notwendig werdende eigene Mitwirkungshandlungen zur
Umsetzung der betreffenden von der Kindesmutter für X getroffenen Entscheidung (z.
B. Unterschriftsleistung für eine Kontoeröffnung) zu erbringen. Dass es diesbezüglich
an der nach der skizzierten Rechtsprechung des BGH notwendigen ausreichenden
Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern im Sinne einer Restkooperation (so
Rake, NZFam 2022, 344, 345), fehlt, ist nicht feststellbar. Vielmehr geht der Senat
davon aus, dass dem Kindesvater wie dieser selbst in seinem Schriftsatz vom
21.7.2023 deutlich zum Ausdruck gebracht hat absolut bewusst ist, dass die Kindesmutter
künftig erfolgreich die Alleinsorge für X beantragen könnte, sollte es trotz
der Vollmachtserteilung zu Problemen bei der Sorgerechtsausübung durch die Kindesmutter
kommen. Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Annahme, der Kindesvater
werde die Vollmachtausübung durch die Kindesmutter durch eigene Handlungen
konterkarieren oder nutze die Vollmacht lediglich als taktisches Mittel, um
Macht über die Kindesmutter ausüben zu können. Allein auf das besonders konfliktbeladene
Elternverhältnis und das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Kindesvater und
den Eltern der Kindesmutter kann die von dieser trotz vom Kindesvater erteilter Vollmacht
gewünschte Sorgerechtsübertragung nicht gestützt werden. Ausschlaggebend
ist vielmehr, ob ein hier gegenwärtig nicht erkennbares konkretes Hindernis besteht,
die elterliche Sorge unter Verwendung der Vollmacht auszuüben, das eine Kooperationspflicht
des Kindesvaters auslöst. Nur wenn der Kindesvater im Falle eines
ihm bekannten Hindernisses eine ungenügende Restkooperation zeigen würde, wäre
eine Sorgerechtsübertragung trotz Vollmachterteilung erforderlich. Lediglich abstrakte
Kooperationsdefizite, die sich nicht konkret auf die Wahrnehmung der Kindesbelange
auswirken, reichen hingegen nicht aus, um eine Ungeeignetheit der Vollmacht zur
Wahrnehmung der Kindesbelange festzustellen (vgl. Rake, NZFam 2022, 344, 347).
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kindesvater im Termin vom
15.6.2023 bereits sein Einverständnis mit der Veranlassung der demnächst anstehenden
kieferorthopädischen Behandlung Xs durch die Kindesmutter erklärt hat, sodass
diesbezüglich für die Kindesmutter ohnehin keinerlei Schwierigkeiten bei der
Wahrnehmung der Kindesbelange zu erwarten sind. Darüber hinaus gibt es durchaus
Anlass, auf eine künftige Verbesserung der Elternebene zu hoffen. So hat der Kindesvater
im Termin vom 15.6.2023 glaubhaft die Bereitschaft erklärt, mit therapeutischer
Hilfe an seiner Selbstreflexion arbeiten zu wollen. Auch schätzt die Sachverständige
grundsätzlich
einen moderierten Austausch der Kindeseltern als möglich ein. Beide Kindeseltern
sind ferner zur Teilnahme an einer Trennungs- und Scheidungsberatung bereit. Auch
der Einwand der Kindesmutter, wonach die am 3.7.2023 vom Kindesvater an X
adressierte Einladungskarte gegen die erforderliche Fähigkeit und Bereitschaft zur
Restkooperation spreche, verfängt nicht, nachdem der Kindesvater dazu mit Schriftsatz
vom 21.7.2023 die plausible und unwidersprochen gebliebene Erklärung abgegeben
hat, die Einladungskarte mit der Bitte an die Kindesmutter geschrieben zu haben,
diese in Xs "Kiste" zu legen, wobei es sich um ein früher mit dem Jugendamt und
der Kindesmutter besprochenes Prozedere handele. Im Übrigen liegen belastbare
Anhaltspunkte, die geeignet sind, ein Scheitern der erforderlichen Restkooperation
nahezulegen, nicht vor. Die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen
der Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts trotz Vollmachterteilung trifft indes die
den Antrag auf Alleinsorge verfolgende Kindesmutter (Rake, NZFam 2022, 344, 346).
Dass die Kindesmutter die Sorgerechtsvollmacht ablehnt, steht der Eignung der Vollmacht,
eine Sorgerechtsübertragung entbehrlich zu machen, nicht entgegen. Die Erteilung
einer Vollmacht ist eine selbständige, einseitige, nicht annahmebedürftige Erklärung
des Vollmachtgebers (BGH NJW-RR 2007, 1202, 1203). Das Grundverhältnis
für die Sorgerechtsvollmacht ergibt sich regelmäßig aus dem Fortbestehen der elterlichen
Sorge nach §§ 1626 ff. BGB (BGH NJW 2020, 2182, 2184). Eines von den Eltern
geschlossenen Vertrags, etwa eines Auftrags, bedarf es daher für das Grundverhältnis
nicht, sodass ein solcher auch nicht Voraussetzung für den Vorrang der Vollmacht
gegenüber einer Sorgerechtsübertragung sein kann (BGH NJW 2020, 2182,
2185).

Auch der Umstand, dass die vom Kindesvater erteilte Vollmacht widerrufen werden
kann, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auf den Widerruf der Vollmacht kann wegen
der mangelnden Disponibilität des Elternrechts nicht wirksam verzichtet werden (BGH
NJW 2020, 2182, 2185 m. w. N.). Daher bedarf es auch keiner ohnedies unsicheren
Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Vollmacht vom vollmachtgebenden
Elternteil künftig widerrufen werden könnte. Da die wirksam erteilte Vollmacht den
hauptverantwortlichen Elternteil mit erweiterten Handlungsbefugnissen ausstattet,
ergäbe sich insoweit erst durch den Widerruf der Vollmacht eine geänderte Sachlage,
die sodann als Grund für eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB oder gegebenenfalls
für die Abänderung einer bereits ergangenen Entscheidung
nach § 1696 BGB angeführt werden kann (BGH NJW 2020, 2182, 2186).
Auch die von der Kindesmutter gerügte Beschränkung der Vollmacht im Innenverhältnis
nach § 3 der Vollmachturkunde veranlasst keine abweichende Bewertung. Im Außenverhältnis
ist die Vollmacht ausdrücklich unbeschränkt erteilt. Bei dieser Sachlage
ist nicht erkennbar, dass die Möglichkeiten der Kindesmutter, für X zu handeln, eine
Einschränkung erfahren. Soweit es in § 3 der Urkunde um Informationsrechte des
Kindesvaters geht, stehen ihm diese ohnehin zu (§ 1686 BGB). Wie die dort enthaltenen
Formulierungen im Übrigen ohne Zutun der Kindesmutter Stresserleben bei X
hervorzurufen geeignet sein sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Soweit der Kindesvater
in nicht eiligen Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für X Gelegenheit
fordert, sich vorher beraten zu lassen, erscheint dies im Hinblick auf sein Informationsrecht
unbedenklich und für die Handlungsmöglichkeiten der Kindesmutter ohne
Auswirkung, solange nicht ein Widerruf der Vollmacht erfolgt. Soweit es um die Einholung
X betreffender ärztlicher Informationen geht, teilt der Senat die Einschätzung des
Jugendamts, dass ein entsch
liegt, dass der Kindesvater als (weiterhin) Sorgeberechtigter selbständig Informationen
von Ärzten etc. einholen kann, was zur Vermeidung von möglichen Konflikten
durch direkte Kontakte zwischen den Kindeseltern geeignet ist.

Auch die ablehnende Haltung Xs gegenüber Kontakten zum Kindesvater kann unter
Verhältnismäßigkeitsaspekten die Vollmacht nicht als ungeeignet zur Aufrechterhaltung
der gemeinsamen elterlichen Sorge erscheinen lassen. Dieser Haltung wird
durch den befristeten Umgangsausschluss hinreichend Rechnung getragen. Konkrete
Anhaltspunkte dafür, dass allein die (formale) Mitsorgeberechtigung des Kindesvaters
bei umfassender Handlungsmöglichkeit der Kindesmutter für X aufgrund der vorliegenden
Vollmacht dem Kindeswohl in einem Maße abträglich sein könnte, das eine
andere Beurteilung notwendig machen würde, liegen nicht vor. Dies gilt umso mehr,
als uneingeschränkt das Jugendamt und mit der aus Sicht des Senats aufgrund
der vorliegenden Vollmacht gewährleisteten Einschränkung, dass die notwendige Ruhesituation
für X geschaffen wird

Nach alledem ist es anders als noch am Ende des erstinstanzlichen Verfahrens
derzeit unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten weder notwendig noch gerechtfertigt,
die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und sie ganz oder teilweise der
Kindesmutter zu übertragen. Hinsichtlich des Aufenthalts des Kindes bei der Kindesmutter
besteht kein Streit mehr und im Übrigen ist die Kindesmutter aufgrund der vom
Kindesvater erteilten umfassenden Sorgerechtsvollmacht ausreichend in der Lage, die
Kindesbelange allein wahrzunehmen. Sollte sich wider Erwarten
ünftig doch nicht als tragfähig erweisen, wäre ggf. ein neuer Sorgerechtsantrag
zu stellen.

Von einer persönlichen Anhörung Xs vor der Entscheidung hat der Senat mit Rücksicht
auf die vom Verfahrensbeistand ausdrücklich geteilte Einschätzung der Sachverständigen
aus ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 20.6.2023 gem. § 159 Abs. 2
S. 1 Nr. 1 FamFG ausnahmsweise abgesehen, um eine dadurch zu befürchtende
Kindeswohlgefährdung auszuschließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs.
1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Bremen

Erscheinungsdatum:

07.09.2023

Aktenzeichen:

5 UF 13/23

Rechtsgebiete:

Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

GG Art. 6 Abs. 2; BGB § 1671 Abs. 1; FamFG § 159