BGB §§ 1093, 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2
Wohnungsrecht; Abgrenzung zum Wohnnutzungsrecht; keine Bereicherung auf Kosten des Wohnungsberechtigten bei Nutzung durch den Eigentümer
1. Ist ein auf Lebzeiten eingeräumtes Recht, ein Gebäude oder ein Teil eines Gebäudes als Wohnung zu benutzen, im Grundbuch und in der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung als „Wohnungsrecht“ bezeichnet, handelt es sich im Zweifel nicht um ein Wohnnutzungsrecht, sondern um ein Wohnungsrecht im Sinne des § 1093 BGB.
2. Der Eigentümer, der die von dem Wohnungsrecht erfassten Räume anstelle des dort nicht wohnenden Berechtigten als Wohnung benutzt, wird durch den damit verbundenen Gebrauchsvorteil nicht auf Kosten des Wohnungsberechtigten bereichert. Der Wohnungsberechtigte kann von dem Eigentümer auch nicht über eine analoge Anwendung von § 1065 BGB Nutzungsersatz nach den §§ 987 ff. BGB verlangen (Fortführung von Senat, Urteil vom 13. Juli 2012 – V ZR 206/11, NJW 2012, 3572).
BGH, Urt. v. 23.3.2023 – V ZR 113/22
Problem
Mit notariellem Vertrag vom 11.5.1976 übertrug die 2003 verstorbene Mutter der Streitparteien ein mit einem Wohnungsrohbau bebautes Grundstück auf ihren Sohn, den Beklagten. In dem Übertragungsvertrag wurde der Mutter und deren Tochter bzw. Schwester des Erwerbers (der Klägerin) als Gesamtberechtigten ein „Wohnungsrecht“ eingeräumt, das sich ausweislich der Eintragungsbewilligung „auf die ausschließliche Nutzung der Wohnung des Untergeschosses“ bezog.
Der Beklagte zog mit seiner Familie in die Hauptwohnung des übertragenen Anwesens ein. Weder die Mutter noch deren Tochter nutzten in der Folgezeit die Wohnung im Untergeschoss. 2011 bezog der Beklagte die Untergeschosswohnung selbst. Mit Schreiben vom 25.9.2018 widersprach die Klägerin der Nutzung der Wohnung durch den Beklagten und forderte ihn zur Räumung auf. Alternativ bot sie ihm an, die Wohnung gegen Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung zu nutzen. Nachdem der Beklagte rechtskräftig zur Räumung und Herausgabe der Untergeschosswohnung verurteilt worden war, zog er im Mai 2020 aus der Wohnung aus.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten nunmehr insbesondere Nutzungsersatz für die Zeit von Januar 2017 bis April 2020 nebst Zinsen.
Entscheidung
Nach Ansicht des BGH hat die Klägerin keinen (gesetzlichen) Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung.
Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB bestehe nicht. Der Beklagte habe durch die Eigennutzung den unmittelbaren Besitz an der Untergeschosswohnung allerdings ohne Rechtsgrund erlangt. Denn er sei aufgrund des Wohnungsrechts der Schwester i. S. d. § 1093 BGB von der Nutzung der Räumlichkeiten ausgeschlossen gewesen.
In diesem Zusammenhang erörtert der BGH zunächst, dass im vorliegenden Fall ein Wohnungsrecht gem. § 1093 BGB und kein Wohnnutzungsrecht nach § 1090 BGB bestellt worden sei. Wesensmerkmal des Wohnungsrechts gem. § 1093 BGB sei der Ausschluss des Eigentümers von der Benutzung des Gebäudes bzw. Gebäudeteils. Sofern sich der Eigentümer die Mitbenutzung vorbehalte, könne dagegen nur ein Wohnnutzungsrecht in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nach § 1090 BGB bestellt werden. Das Fehlen der Worte „unter Ausschluss des Eigentümers“ in der Eintragungsbewilligung und dem Grundbucheintrag stehe der Annahme eines Wohnungsrechts gemäß § 1093 BGB nicht entgegen. Denn sofern ein auf Lebzeiten eingeräumtes Recht, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes als Wohnung zu benutzen, im Grundbuch und in der nach § 874 BGB in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung als Wohnungsrecht bezeichnet sei, handele es sich im Zweifel nicht um ein Wohnnutzungsrecht, sondern um ein Wohnungsrecht i. S. d. § 1093 BGB. Es sei die Regel, ein Wohnungsrecht unter Ausschluss des Eigentümers auszugestalten. Ein Wohnnutzungsrecht gemäß § 1090 BGB sei nur dann anzunehmen, wenn sich aus der Grundbucheintragung oder der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Eigentümer zur Mitbenutzung berechtigt sein solle; dies sei hier nicht der Fall.
Jedoch habe der Beklagte die Gebrauchsvorteile, die aus dem rechtsgrundlosen Besitz der Untergeschosswohnung folgten, nicht auf Kosten der Klägerin erlangt. Der Bereicherungsschuldner erlange nur dann i. S. d. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB etwas auf Kosten des Bereicherungsgläubigers, wenn er in eine Rechtsposition eingreife, die nach der Rechtsordnung dem Gläubiger zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen sei. Insoweit sei nicht entscheidend, ob der Bereicherungsschuldner bei redlichem Vorgehen etwas für die erlangte Position hätte zahlen müssen. Vielmehr komme es darauf an, ob der Bereicherungsgläubiger nur die Unterlassung der unerlaubten Nutzung des Rechtsguts verlangen könne oder ob er darüber hinaus selbst berechtigt wäre, die konkreten Nutzungen zu ziehen.
Das Wohnungsrecht gem. § 1093 BGB berechtige nur zu einer persönlichen Nutzung der umfassten Räume durch den Wohnungsberechtigten. Es umfasse nicht das Recht zu einer alleinigen Überlassung der Räume an Dritte. Im Hinblick auf diese nur eingeschränkte Berechtigung habe der BGH bereits entschieden, dass der Wohnungsberechtigte gegen den eigenmächtig vermietenden Eigentümer keinen Anspruch auf Auskehrung der Mieteinnahmen gem. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB habe, denn der vermietende Eigentümer erlange Mieteinnahmen nicht auf Kosten des Wohnungsberechtigten; diese Nutzungen seien dem Wohnungsberechtigten mangels Vermietungsrecht nicht zugewiesen. Diese Grundsätze gälten auch, wenn der Eigentümer die dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume selbst bewohne. Der Vorteil, den der Eigentümer aus der Wohnnutzung ziehe, sei nicht dem Wohnungsberechtigten zugewiesen; ihm stehe nur der Vorteil des eigenen Gebrauchs zu.
Weiterhin bestehe kein Anspruch auf Nutzungsersatz gem. §§ 1093 Abs. 1 S. 2, 1065, 990 Abs. 1, 987 Abs. 1, 989 BGB. Zwar komme grundsätzlich eine entsprechende Anwendung von § 1065 BGB auf das Wohnungsrecht in Betracht. So könne etwa der Wohnungsberechtigte von einem Dritten gem. § 985 BGB die Herausgabe der von dem Wohnungsrecht umfassten Räume verlangen. Die Vorschriften der §§ 987 ff. BGB über den Ersatz von Nutzungen seien jedoch nicht über § 1065 BGB analog im Verhältnis zwischen Wohnungsberechtigtem und Eigentümer anwendbar. Es mangele insoweit an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Denn im Gegensatz zum direkten Anwendungsbereich der §§ 987 ff. BGB, wo die vom nichtberechtigten Besitzer gezogenen Nutzungen eigentlich dem Eigentümer zustünden, seien die vom Eigentümer unberechtigt gezogenen Nutzungen der Räume dem Wohnungsberechtigten von vornherein nicht zugewiesen. Die Begrenzung des Zuweisungsgehalts des Wohnungsrechts auf die Eigennutzung durch den Wohnungsberechtigten stehe der Anwendbarkeit der §§ 987 ff. BGB im Verhältnis zum Eigentümer entgegen.
Der Wohnungsberechtigte sei durch die Verneinung der beiden Ansprüche nicht schutzlos gestellt. Denn er könne Schadensersatz verlangen, wenn der Eigentümer seine Pflicht zur Herausgabe der von dem Wohnungsrecht erfassten Räume verletze. Der Klägerin sei durch die Wohnnutzung des Beklagten jedenfalls kein Schaden entstanden, weil sie zu keinem Zeitpunkt einen Willen gehabt hätte, die Wohnung selbst zu nutzen.
Praxishinweis
Die Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig es ist, bei der Bestellung eintragungsbedürftiger Rechte präzise zu formulieren. Denn zur Ermittlung des Inhalts solcher Rechte kommt es vor allem auf den Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der nach § 874 BGB in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung an, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Wenn statt eines Wohnungsrechts gem. § 1093 BGB ein Wohnnutzungsrecht gem. § 1090 BGB bestellt werden soll, muss besonders darauf geachtet werden, dass das Mitbenutzungsrecht des Eigentümers deutlich zum Ausdruck kommt.